• My Way

Auslandaufenthalt, arbeiten und Familie – wie geht das, Frau Burkhardt?

Ingrid Burkhardt ist beruflich grösstenteils im Ausland tätig – für mehrere Projekte in Entwicklungsländern. Im Ausland hat sie mit ihrem Partner auch drei Kinder bekommen. Wie lässt sich all dies vereinbaren?

«Ich finde es beeindruckend, wie Ingrid Burkhardt ihre fachliche Weiterbildung, Auslandseinsätze und ihr Familienleben vereint.»

Corina Tomaschett, Trägerin Fähigkeitsausweis klinische Notfallmedizin und Redaktionsmitglied

Ingrid, wolltest du seit jeher einen Teil deiner Ausbildung im Ausland absolvieren?

Ich wollte schon immer wegziehen und etwas Neues sehen. Mein Einstieg in dieses Leben war der Tropenkurs der London School of Hygiene and Tropical Medicine, der in Tansania und Uganda stattfand. Dieser hat mir gezeigt, welche Projekte es gibt und was inspirierte Kommilitoninnen und Kommilitonen bereits machen. Zudem konnte ich Kontakte knüpfen. Dieser international ausgelegte Kurs war eine gute Basis für einen Wegzug ins Ausland. Er förderte auch mein Verständnis für das Setting anderer Länder.

Was kann man falsch machen, wenn man ins Ausland geht?

Man macht immer Fehler, besonders wenn man sich in einer neuen Kultur zurechtfinden muss. Oft werden gewohnte Arbeitsweisen, die man im Heimatland praktiziert hat, beibehalten, obwohl diese nicht an die lokalen Gegebenheiten angepasst sind. Man hat zudem oft den Drang, die medizinische Versorgung durch Veränderungen zu verbessern, aber es ist wichtig, sich zunächst gut mit dem Setting bekannt zu machen, was meist viele Monate braucht.

Inspirierende Persönlichkeiten im Fokus

Mutige Vorreiterin, empathischer Chef, charismatische Weiterbildnerin, politischer Kämpfer: Es gibt viele Eigenschaften und Rollen, die für junge Ärztinnen und Ärzte inspirierend wirken können. In der Serie «My Way» geben wir einen Einblick in die Gedanken, Erlebnisse und Lebenswege von Personen, die durch ihren Weg oder ihre Art herausstechen.

Neben deiner Weiterbildung im Ausland und Projektarbeiten in Entwicklungsländern bist du auch Mutter von drei Kindern. Wie kannst du dies vereinen?

Es ist in erster Linie ein grosser Aufwand. Mein erstes Kind hat in London selbst an drei Orten gelebt, war zweimal in Griechenland, eine Zeit lang in der Schweiz und ist nun hier in Namibia.
Als ich meine Kinder bekommen habe, war ich in London angestellt. Beim ersten Kind jedoch nicht lange genug, um Mutterschaftsgeld zu erhalten, bei den zwei weiteren schon. In England hat man bis zu einem Jahr Mutterschaftspause. Dies öffnet viele Türen, ist jedoch finanziell nicht lukrativ. Das Mutterschaftsgeld ist limitiert auf neun Monate und entspricht total etwa 60 Prozent vom Lohn – vorausgesetzt, man kehrt danach zur Arbeit zurück. Dies bei einem Lohn, der gerade ausreicht, um die Kita für zwei Kinder im Zentrum von London zu bezahlen.
In dieser Zeit habe ich an den Auslandprojekten in Griechenland und nun in Namibia teilgenommen. Wir haben jeweils die Wohnung in London aufgegeben und unsere Sachen eingelagert.
Mein Mann, der nicht Arzt ist, hat vier Monate Vaterschaftsurlaub, sodass er in dieser Zeit die Kinder betreut, während ich an den Projekten arbeite. Ich habe glücklicherweise einen Mann, der auch reisen will und den Aufwand der Umzüge und des neuen Einlebens mittragen möchte. Ohne ihn ginge es nicht.

Wie ist es, so oft in ein neues Land zu ziehen?

Man muss vorgängig das Leben vor Ort mehrmalig konkret durchdenken, mit vielen Unbekannten umgehen können und sowohl die finanziellen als auch die sozialen Einbussen einberechnen.
Wenn man weggeht, verliert man den regelmässigen Kontakt zu Freunden und dem beruflichen Umfeld, was die Stellensuche bei der Rückkehr etwas schwieriger macht. Die weitere Familie zu Hause kann zudem enttäuscht sein, wenn man nicht da ist, und man ist teilweise Vorwürfen von anderen bezüglich der Lebensentscheidung ausgesetzt.
Ein Punkt, der Sorge bereitet, ist die fehlende Unterstützung durch die erweiterte Familie und das soziale Netz. In London habe ich stets zwischen 60 und 80 Prozent gearbeitet, das sind 24 bis 32 Stunden pro Woche plus unbezahlte Überzeit, und mein Partner Vollzeit. Wir haben uns vor Ort jeweils eine Kita gesucht.
Ohne Familienangehörige sind die Eltern die einzigen Ansprechpersonen der Kinder – und zwar für alles. Dies muss man den Kindern auch bieten, wenn man sie so vielen Wechseln aussetzt. Zudem ist es schwierig, herauszufinden, wie sich die vielen Wechsel auf die Kinder auswirken, und man macht sich Sorgen, dass die Entscheide nicht im Interesse der Kinder sind.

Ändern sich die Auswahlkriterien für Länder als Familie?

Seit wir Kinder haben, sind die Auswahlkriterien viel komplexer geworden. Wir hätten beispielsweise anstatt nach Namibia nach Gambia oder Südafrika gehen können. Mit kleinen Kindern rücken aber Überlegungen zur persönlichen Sicherheit, zur gesundheitlichen Versorgung und zum Vorhandensein von Infektionskrankheiten wie Malaria und Gelbfieber in den Vordergrund. Bei der Planung eines Einsatzes mit der Familie entsteht ein neues Spektrum an Sorgen. Vor Ort lebt man sich jedoch erstaunlich gut in jede Situation neu ein.
Spezifische Abbruchkriterien für einen Einsatz oder einen Aufenthalt haben wir nie explizit festgelegt. Aber wenn wir beide an den Anschlag kämen, wäre dies ein Grund, ein Projekt abzubrechen.

Welche beruflichen Folgen hat eine Weiterbildung im Ausland?

Einerseits dauert vieles länger, wenn man nicht den Standardweg geht, insbesondere, wenn man wie ich bereits in der Assistenzzeit im Ausland arbeitet und zwischen Ausbildungsstellen Auslandeinsätze durchführt. Bei einem nicht vorgegebenen Weg kann man jedoch vieles selbst bestimmen und wichtige Erfahrungen sammeln.

Was schätzt du an den Auslandsaufenthalten?

In London fand ich es toll, an grossen Zentren zu arbeiten. London hat mit den vorstädtischen Quartieren 16 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Als Clinical Fellow habe ich vieles gesehen und gelernt. Aufgrund der Grösse von London sieht man seltene Krankheiten nicht nur ein- oder zweimal pro Jahr, sondern häufiger. Dies ermöglicht Übung und Erfahrung.
Während eines Auslandsaufenthaltes knüpft man zudem viele Kontakte, die den Horizont und das persönliche Netzwerk erweitern. Begegnet man einer komplexen oder sehr raren Fragestellung, kennt irgendjemand immer irgendwo eine Expertin oder einen Experten dafür. Davon konnte ich im klinischen Alltag sehr profitieren – und dadurch auch meine Patientinnen und Patienten.

Wie geht es bei dir weiter?

Es wäre sehr spannend, weiterhin in London als Clinical Fellow in der pädiatrischen Infektiologie zu arbeiten, jedoch wäre es schwierig, dort eine Facharztausbildung abzuschliessen. Ausbildungsstellen in der pädiatrischen Infektiologie sind sehr kompetitiv. Bezüglich Kinder sind die Schulen ein wichtiger Punkt. In London wohnt man entweder in einem Quartier mit «gutem Postcode» und guten Schulen, aber hohen Mieten, oder man versucht, seine Kinder in die Privatschule zu schicken, was aufgrund unserer Einstellung nicht infrage kommt. Neben der fehlenden zusätzlichen Unterstützung durch Familie und Freunde sind dies Gründe für eine Rückkehr in die Schweiz.

Hast du Tipps für Projekte im Ausland?

Wenn man mit der Familie an einem Auslandprojekt teilnehmen möchte, wäre es wahrscheinlich hilfreich, Erfahrung mit Auslandeinsätzen gemacht zu haben und/oder sich in einer Organisation etabliert zu haben. Viele Organisationen haben keine Positionen für medizinisches Personal mit Familien, ausser in Leitungspositionen. Weiter kann die Wahl des Facharzttitels die Möglichkeiten etwas einschränken. Anderseits kann Forschung Türen öffnen. Hier in Namibia gab es zum Beispiel kein Projekt, dem ich einfach beitreten konnte. Ich habe über mehrere Ecken Kontakte geknüpft und dann zusammen mit lokalen und externen Forschenden ein kleines Forschungsprojekt erstellt. Insbesondere bei alternativen Wegen können Mentorinnen und Mentoren sicher hilfreich sein. Dank deren Rat und deren Kontakte haben sich mir immer wieder neue Blickwinkel eröffnet, oder es haben sich neue Möglichkeiten ergeben. Viele verschiedene Leute fragen, sein Netzwerk ausbauen und flexibel bleiben sind wichtig fürs Leben und Arbeiten im Ausland, auch mit Familie.

Zur Person

Ingrid Burkhardt hat 2014 das Studium der Humanmedizin in Bern abgeschlossen. Nach zwei Jahren in der pädiatrischen Klinik des Inselspitals Bern setzte sie ihre Weiterbildung am Evelina London Children’s Hospital fort. Anschliessend absolvierte sie ein Jahr am Kinderspital Basel, ist nach London zurückgekehrt und hat am Imperial College Healthcare NHS Trust London als Clinical Fellow in pädiatrischer Intensivmedizin und Infektiologie gearbeitet. Sie hat 2022 den Facharzttitel Pädiatrie erlangt. Zusätzlich hat sie zwei Einsätze als Beraterin für das Staatssekretariat für Migration gemacht. Zwischen den Anstellungen sowie im Mutterschaftsurlaub hat sie mit der Organisation «German Doctors» im Serabu Community Hospital in Sierra Leone und mit den Organisationen «Medical Volunteers International» und «Boat Refugee Fondation» zweimalig im Griechischen Lesbos Freiwilligenarbeit geleistet. Aktuell arbeitet sie an einem Forschungsprojekt in Windhoek, Namibia. Sie und ihr Partner haben drei Kinder im Alter von zehn Monaten, zwei und vier Jahren.