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Einschränkung oder Chance?

Die 42+4-Stunden-Woche für Assistenzärztinnen und -ärzte ist ein zentrales Anliegen des vsao. Eine parlamentarische Initiative im Kanton Zürich will eine entsprechende Regelung im Gesetz verankern. Gegenstimmen gab es aus bürgerlichen Parteien – auch von Ärzten. Wir haben bei ihnen nachgefragt.

Mit der 42+4-Stunden-Woche soll nicht nur die Arbeitszeit reduziert werden, sondern unter dem Strich soll dank erhöhter Effizienz mehr Zeit für Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen.  Bild: Adobe Stock
Mit der 42+4-Stunden-Woche soll nicht nur die Arbeitszeit reduziert werden, sondern unter dem Strich soll dank erhöhter Effizienz mehr Zeit für Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen.  Bild: Adobe Stock

Die meisten Spitäler in der Schweiz planen die Einsätze ihrer Assistenzärztinnen und -ärzte auf der Basis einer 50-Stunden-Woche. Das führt regelmässig zu Verstössen gegen das Arbeitsgesetz, das eine Höchstarbeitszeit von 50 Stunden pro Woche vorschreibt. Gleichzeitig kommt die Weiterbildung zu kurz und viele Assistenzärztinnen und -ärzte leiden unter Überlastung und Erschöpfung, wie das unter anderem die Auswertung der vsao-Mitgliederumfrage 2022 zeigte.

Der vsao setzt sich deshalb für das Modell der 42+4-Stunden-Woche ein, bei dem mit 42 Stunden Dienstleistung rund um die Patientenbetreuung plus vier Stunden strukturierter Weiterbildung geplant wird. Um dem Modell zum Durchbruch zu verhelfen, setzt der vsao vor allem auf Verhandlungen mit einzelnen Spitälern oder Kliniken – dies hat zum Beispiel am Institut für Intensivmedizin des Unispitals Zürich, am Paraplegiker-Zentrum Nottwil wie auch im Kanton Tessin (GAV-Regelung ab 2025) zum Erfolg geführt.

Verankerung im Gesetz?

Im Kanton Zürich gibt es nun zudem den Versuch, die 42+4-Stunden-Woche in den kantonalen Gesetzen zu verankern. Eine entsprechende parlamentarische Initiative wurde vom Medizinstudenten Benjamin Walder lanciert, der für die Grüne Partei im Kantonsrat sitzt. Konkret fordert die Initiative die konsequente Umsetzung der 42+4-Stunden-Woche für Assistenzärztinnen und -ärzte in Zürcher Spitälern durch eine Änderung des Spitalplanungs- und Finanzierungsgesetzes sowie eine Änderung des Gesundheitsgesetzes.

In der Parlamentsdebatte am 29. April erreichte die Initiative die für eine Überweisung notwendige Zahl von 60 Stimmen knapp (62 Stimmen), womit der Vorschlag an die zuständige Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit überwiesen wurde. Diese wird die Idee und die konkrete Umsetzung diskutieren und dem Parlament einen Vorschlag zur Diskussion und Abstimmung unterbreiten.

Die Überweisung kam dank der Unterstützung von SP, der Grünen Partei, der EVP, der Alternativen Liste und von Teilen der GLP zustande. Die GLP vertrat zwar die Meinung, dass die konkrete Forderung der 42+4-Stunden-Woche nicht umsetzbar sei, anerkennt aber das Problem und möchte es deshalb in der Kommission diskutieren, um eine – aus ihrer Sicht machbare – Lösung zu finden.

Bürgerliche Ärzte dagegen

Von bürgerlicher Seite hingegen erhielt die Vorlage keine Unterstützung, auch nicht von Ärzten. Josef Widler, Arzt, ehemaliger Präsident der Zürcher Ärztegesellschaft und Mitglied der Mitte-Fraktion, sowie Andreas Juchli, Arzt, Unternehmer und FDP-Mitglied, lehnten die Initiative ab. Wir wollten von ihnen wissen, warum.

Josef Widler nimmt Bezug auf die beschränkte Zahl von Studienplätzen. 2022 hätten sich 6147 Personen für die 2172 angebotenen Studienplätze beworben. Widler betont zwar, dass eine Erhöhung der Ausbildungsplätze angestrebt werden müsse, aber es werde kaum möglich sein, innert nützlicher Frist genügend Plätze bereitzustellen, um die ärztliche Versorgung sicherzustellen. «Wer also einen der raren und kostspieligen Studienplätze erhält, sollte deshalb bereit und fähig sein, mehr zu leisten.»

Die raren Studienplätze können aber auch zu anderen Schlussfolgerungen führen, findet der vsao: Gerade weil die Studienplätze beschränkt und teuer sind, muss verhindert werden, dass die frisch ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte den Arztberuf frühzeitig wieder verlassen. Genau dies geschieht aber momentan aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen viel zu oft, wie diverse Studien und Umfragen gezeigt haben.

Wie der vsao ist auch Josef Widler der Meinung, dass die Bürokratie unbedingt reduziert werden muss, damit Ärztinnen und Ärzte mehr Zeit am Patientenbett verbringen können. Widler glaubt aber diesbezüglich nicht an die heilsame Wirkung der 42+4-Stunden-Woche, sondern hält fest: «Dieser Kampf muss von der Ärzteschaft direkt in den Institutionen geführt werden.» Die 42+4-Stunden-Woche sei als Mittel gegen die Bürokratie untauglich. Der vsao hingegen ist überzeugt, dass die 42+4-Stunden-Woche beim Bürokratie-Abbau hilfreich sein kann, da die Spitäler einen Anreiz erhalten, die klar beschränkte Arbeitszeit der Ärztinnen und Ärzte sinnvoll und effizient zu nutzen.

Wie viel wollen Ärztinnen und Ärzte arbeiten?

Andreas Juchli begründet sein Votum gegen das Anliegen vor allem damit, dass der Arztberuf ein «Leistungsberuf» sei. Leistung heisse auch, «viel arbeiten zu wollen» – und 42 Stunden plus Weiterbildung seien «dafür einfach zu wenig.» Gleichzeitig stellt Juchli die Frage: «Woher stammt die Erkenntnis, dass 42+4 mit viel mehr Lebensqualität einhergeht?» Auch Josef Widler ist der Meinung, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit «die Freiheit der jungen Ärztinnen und Ärzte [einschränkt] und sie in ihrem Fortkommen behindert».

Tatsache ist aber – auch das hat die vsao-Umfrage gezeigt – dass sich über 80 Prozent der Assistenzärztinnen und -ärzte eine deutliche Reduktion der heute üblichen Sollarbeitszeit von 50 Stunden wünschen. Mit 42+4 kann diesem Wunsch entsprochen werden, zudem lässt sich damit das Arbeitsgesetz eher einhalten, da bei unvorhergesehenen Einsätzen nicht sofort die zulässige Höchstarbeitszeit überschritten wird. Mehreinsätze werden durch 42+4 somit nicht verhindert, sondern die Spitäler erhalten bei der Einsatzplanung mehr Flexibilität im Rahmen des Arbeitsgesetzes.

Juchli betont, dass er sehr wohl für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen sei, aber «nicht einseitig über die Reduktion der Arbeitszeit». Er will stattdessen «das Effizienzpotential maximal ausschöpfen». Und diese «Effizienzdividende» solle danach fair aufgeteilt werden, zwischen Patientinnen und Patienten, Ärzteschaft, anderen Gesundheitsberufen sowie Arbeitgebenden und Steuerzahlenden.

Damit ist Juchli letztlich nahe an der Argumentation des vsao. Die Arbeitszeit ist heute zu lang und wird oft ineffizient genutzt, was für viele frustrierend ist. Bei der Forderung nach einer 42+4-Stunden-Woche geht es deshalb nicht nur um eine Reduktion der Sollarbeitszeit, sondern auch um die Stärkung der Weiterbildung und um die Reduktion von administrativen Tätigkeiten, damit sich die Assistenzärztinnen und -ärzte vermehrt auf ihre Kernaufgabe, die Arbeit am Patientenbett, konzentrieren können.

Der vsao wird sich deshalb weiterhin an allen Fronten für die 42+4-Stunden-Woche stark machen. Nur so kann langfristig sichergestellt werden, dass genügend Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung stehen, die ihren Beruf mit Freude und Leidenschaft ausüben, ohne dabei ihre eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

Die drei Ziele von 42+4

Mit der 42+4-Stunden-Woche will der vsao erreichen, dass die Sollarbeitszeit von Assistenzärztinnen und -ärzten reduziert wird, die Weiterbildung gemäss den Vorschriften des SIWF wahrgenommen werden kann und die ärztliche Tätigkeit wieder mehr am Patientenbett stattfindet. Auf der Website www.vsao.ch/42plus4 finden sich weitere Informationen zur 42+4-Stunden-Woche, unter anderem ein Kurzargumentarium und konkrete Tipps zur Umsetzung.