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Überzeit korrekt erfassen und kompensieren

Die wenigsten Schweizer Spitäler beherrschen den Umgang mit Überstunden und Überzeit. Sehr oft werden Guthaben an Überzeit auf nicht gesetzeskonforme Art abgebaut. Damit sich Mitarbeitende wehren können, müssen sie ihre Rechte und Pflichten kennen. Eine Einführung.

Einfach den Badge hinhalten und gut ist? Leider nein: Der korrekte Umgang mit den Arbeitszeiten ist eine komplexe Sache – insbesondere dann, wenn die Mitarbeitenden die Höchstarbeitszeit von 50 Stunden pro Woche oft überschreiten, wie dies in vielen Spitälern der Fall ist. Bild: Olivier Le Moal
Einfach den Badge hinhalten und gut ist? Leider nein: Der korrekte Umgang mit den Arbeitszeiten ist eine komplexe Sache – insbesondere dann, wenn die Mitarbeitenden die Höchstarbeitszeit von 50 Stunden pro Woche oft überschreiten, wie dies in vielen Spitälern der Fall ist. Bild: Olivier Le Moal

Zugegeben, der korrekte Umgang mit den Arbeits- und Ruhezeitvorschriften ist eine Herausforderung für die Dienstplanenden.

Ein nicht korrekter und nicht transparenter Umgang mit der Arbeitszeiterfassung und den Arbeitszeitsaldi, insbesondere der einmal entstandenen Überzeit, ist für die Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte in den Spitälern ein grosses Ärgernis und hat direkte Implikationen auf deren Wohlergehen und die Gegenleistung, auf die sie aufgrund der entstandenen Überzeit Anspruch haben. Arbeitgebende und Mitarbeitende sollten darum unbedingt ein Augenmerk darauf legen und den unterschiedlichen Umgang mit Überstunden und Überzeit kennen.

Überstunden

Definition: Überstunden sind Arbeitsstunden, welche die vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit (Voll- oder Teilzeit) übersteigen.

Verpflichtung zur Leistung: Grundsätzlich haben Mitarbeitende nur das vertraglich vereinbarte Arbeitspensum zu verrichten. Ausnahmsweise sind sie zur Leistung von Mehrarbeit bzw. Überstunden verpflichtet, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 321c Abs. 1 OR): Die Überstunden müssen notwendig und subjektiv zumutbar sein und die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes (ArG) über die Arbeits- und Ruhezeiten eingehalten werden.

Bei medizinischen Notfällen und zur Wahrung des Patientenwohls dürfte diese Ausnahmesituation beim medizinischen Personal in den Spitälern häufig vorkommen. Dies setzt aber voraus, dass Überstunden überhaupt möglich sind, d. h. dass eine Sollarbeitszeit unterhalb der gesetzlichen Höchstarbeitszeit (siehe nachfolgende Ausführungen) vereinbart wurde.

Kompensation/Entschädigung: Im Idealfall können Mitarbeitende ihre Überstunden (zum Beispiel im Rahmen eines Gleitzeitsaldos) bei anderer Gelegenheit durch Minderarbeit kompensieren. Das setzt jedoch eine gewisse Zeitsouveränität an den Arbeitstagen voraus. Die Dienstplanung sollte nicht am Limit erfolgen. Eine monetäre Entschädigung für nicht kompensierte Überstunden erfolgt grundsätzlich zum Normallohn.

Eine Kompensation durch Freizeit und/oder eine Entschädigung kann bei gewissen Funktionen vertraglich oder reglementarisch ausgeschlossen werden, wenn ein solcher Mehraufwand betriebsüblich und daher bereits mit dem Grundlohn abgegolten ist. Bei Assistenzärztinnen und -ärzten in Weiterbildung (und damit ohne Kaderfunktion) ist eine Wegbedingung der Überstunden jedoch klar abzulehnen.

Überzeit

Definition: Als Überzeit gilt die Arbeitszeit, welche die gesetzliche Höchstarbeitszeit gemäss Arbeitsgesetz überschreitet. Das Arbeitsgesetz erlaubt bei Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzten (unabhängig davon, ob im Voll- oder Teilzeitpensum tätig, aber unter Berücksichtigung von mehreren Beschäftigungen bei verschiedenen Arbeitgebenden) maximal 50 Arbeitsstunden pro Woche (Art. 9 ArG).

Die Arbeitgebenden sind verpflichtet, die Arbeitszeit der Mitarbeitenden erfassen zu lassen und über die entstandene tägliche und wöchentliche Arbeitszeit – inklusive Überzeitarbeit – ein Verzeichnis zu führen. Der maximale Überzeitsaldo für die einzelnen Mitarbeitenden ist auf 140 Stunden pro Kalenderjahr limitiert (Art. 12 Abs. 2 lit. b ArG). Die im Kalenderjahr entstehende Überzeit wird kumulativ im Überzeitenzähler erfasst. Dieser Überzeitenzähler reduziert sich nicht, wenn ein Teil der Überzeit bereits im laufenden Jahr durch Freizeit ausgeglichen worden ist.

Verpflichtung zur Leistung: Die arbeitsgesetzliche Höchstgrenze wurde zum Schutz der Gesundheit der Mitarbeitenden erlassen, weshalb Überzeitarbeit nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig ist. Auch bei Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzten ist Überzeitarbeit somit nur vorübergehend zur Aufrechterhaltung des Spitalbetriebes zulässig, nicht aber, wenn dem erhöhten Arbeitsanfall mit zusätzlichem Personal Abhilfe geschaffen werden könnte. Bei den Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzten gibt es leider immer noch viele Arbeitsverträge mit einer Sollarbeitszeit von 50 Stunden pro Woche bei einem Vollzeitpensum. Das bedeutet, dass aufgrund der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von 50 Stunden pro Woche eine Mehrarbeit nur bei absoluter Dringlichkeit erlaubt ist, wobei diese Mehrarbeit immer als Überzeit separat auszuscheiden ist.

Kompensation/Entschädigung: Um die Gesundheit der Mitarbeitenden zu schützen, schreibt der Gesetzgeber zwingend vor, wie mit der einmal entstandenen Überzeit zu verfahren ist, damit die Überzeitarbeit für die Arbeitgebenden möglichst unattraktiv bleibt. Das Arbeitsgesetz sieht daher vor, dass

  • die Überzeitarbeit primär mit einem Lohnzuschlag von 25 Prozent auszugleichen ist (Art. 13 Abs. 1 ArG), worauf Mitarbeitende weder vertraglich noch reglementarisch verzichten können (im Gegensatz zur Überstundenentschädigung).
  • der Zuschlag nur entfällt, wenn Überzeitarbeit im Einverständnis mit den Mitarbeitenden innert einem angemessenen Zeitraum durch Freizeit von gleicher Dauer ausgeglichen werden kann (Art. 13 Abs. 2).

Entsprechend darf der Überzeitsaldo nicht mit dem Gleitzeitkonto (Minus- und Überstunden) vermischt bzw. verrechnet werden. Eine Sollarbeitszeit von 50 Stunden lässt an sich gar kein Gleitzeitmodell zu, da planungsbedingte, unverschuldete Minusstunden (z. B. bei Einhaltung der Arbeits- und Ruhezeitvorschriften bei Nachtdiensten) den Mitarbeitenden nicht angelastet werden dürfen und die Überstunden bei einer Sollarbeitszeit von 50 Stunden pro Woche immer als Überzeit auszuscheiden sind. Entsprechend können negative und positive Zeitsaldi gar nicht fortlaufend über die Wochengrenzen hinaus miteinander verrechnet werden.

Zulässig ist eine Kompensation bzw. ein Ausgleich der Überzeit nur mit später entstehenden Minusstunden, wenn Mitarbeitende dieser Kompensation im Einzelfall zugestimmt haben. Das Verrechnen von Überzeit mit früher entstandenen Minusstunden ist in jedem Fall ausgeschlossen, weil die Kompensation nur im Nachhinein erfolgen kann und nicht auf Vorrat (siehe nachstehend zitiertes Gutachten Geiser).

Der Ausgleich in Freizeit hat in einem angemessenen Zeitraum zu erfolgen. In Art. 25 Abs. 2 ArGV1 wird dies dahingehend konkretisiert, dass der Ausgleich von Überzeitarbeit durch Freizeit innert 14 Wochen vorzunehmen ist. Die Parteien können diese Frist allerdings einvernehmlich auf maximal 12 Monate ausdehnen. Die Verlängerung des für die Kompensation vorgesehenen Rahmens kann auch in allgemeiner Form und im Voraus vertraglich erfolgen.

Rechtsgutachten zum korrekten Umgang mit den Arbeitszeiten

Da der Umgang mit den Arbeitszeiten immer wieder Anlass zu Diskussionen zwischen Spitälern und dem vsao gegeben hat, hat der vsao Schweiz bei Prof. em. Dr. iur. Dr. h.c. Thomas Geiser, einem in Juristenkreisen bekannten Arbeitsrechtsexperten, ein Gutachten zum korrekten Umgang mit den Arbeitszeiten in Auftrag gegeben. Darin wird explizit festgehalten, dass Arbeitgebende verpflichtet sind, die Arbeitszeiten der Mitarbeitenden klar und wahrheitsgemäss zu dokumentieren (auch wenn die konkrete Arbeitszeiterfassung an die Mitarbeitenden delegiert wurde). Dabei muss festgehalten werden,

  • wann gearbeitet wird und wann nicht, d. h. einschliesslich der Pausen;
  • welche Arbeitszeit ordentliche Arbeitszeit war und welche Überzeit ist;
  • welche Freizeit gewöhnliche Freizeit (auch aufgrund von Teilzeitarbeit) war und mit welcher Freizeit Überzeit kompensiert wurde;
  • welche Überzeiten mit dieser Freizeit kompensiert wurden.

Die Mitarbeitenden müssen bei jeder einzelnen Kompensation von Überzeit zustimmen, dies kann nicht im Voraus in allgemeiner Form erfolgen. Entsprechend ist es nicht möglich, im Arbeitsvertrag oder gar in allgemeinen Anstellungsbedingungen, die als Bestandteil des Arbeitsvertrages bezeichnet werden, den Arbeitgebenden das Recht einzuräumen, einseitig die Kompensation anzuordnen.

Freizeit vor Entschädigung

Grundsätzlich können Mitarbeitende nach ihrem freien Ermessen entscheiden, ob sie dem Ausgleich durch Freizeit an einem bestimmten Zeitpunkt zustimmen wollen oder nicht. Eine Einschränkung dieser freien Entscheidung ergibt sich hingegen aus der arbeitsvertraglichen Treuepflicht. Mitarbeitende haben nicht nur die übertragene Arbeit sorgfältig auszuführen, sondern auch die berechtigten Interessen der Arbeitgebenden in guten Treuen zu wahren. Dazu gehört auch, dass die Zustimmung zum Zeitausgleich nicht grundlos verweigert werden darf, sondern Mitarbeitende beim Entscheid die berechtigten Interessen der Arbeitgebenden berücksichtigen müssen. Im Sinn der arbeitsgesetzlichen Bestimmung ist der Ausgleich in Freizeit höher zu gewichten als eine finanzielle Entschädigung. Ein allfällig monetäres Interesse der Mitarbeitenden (d. h. lieber die Entschädigung mit Zuschlag zu erhalten) ist demnach kein berechtigter Beweggrund, die Zustimmung zum Freizeitausgleich zu verweigern. Sehr wohl können aber Mitarbeitende die Zustimmung zum Ausgleich an einem bestimmten Zeitpunkt verweigern, weil die Freizeit zu diesem Zeitpunkt nicht die Erholung bietet, die als Ausgleich notwendig ist. Welcher also der richtige Moment für den Ausgleich ist, liegt in der subjektiven Beurteilung der jeweiligen Mitarbeitenden, weshalb es in jedem Individualfall die Zustimmung der Mitarbeitenden zum konkreten Ausgleich braucht.

Ohne Zustimmung wird Überzeit nicht abgebaut

Organisatorisch kann dies so ablaufen, dass Arbeitgebende den Mitarbeitenden den Dienstplan mit einer Kompensation in Freizeit senden und die Mitarbeitenden diesen stillschweigend annehmen oder ohne Verzug einwenden, zu dieser Kompensation nicht bereit zu sein. Arbeitgebende können daraufhin den Dienstplan ändern oder daran festhalten. Halten sie ohne die (stillschweigende) Zustimmung der Mitarbeitenden am Dienstplan fest, ist mit der eingeplanten Freizeit die Überzeit nicht kompensiert und muss entweder später noch kompensiert oder mit Zuschlag ausbezahlt werden.

Erholung und Freizeitbedürfnis sind individuell

Als Freizeit gilt folglich jene Zeit, während der sich Mitarbeitende nicht zur Verfügung der Arbeitgebenden halten müssen und über die sie vollständig frei verfügen können. Bereitschafts- und Pikettdienst können in diesem Zusammenhang daher nicht als Freizeit gelten. Eine Kompensation muss nicht in ganzen Halbtagen oder gar grösseren zusammenhängenden Einheiten erfolgen. Eine entsprechende gesetzliche Regelung ist nicht nötig, weil die Kompensation nur im gegenseitigen Einverständnis möglich ist. Mitarbeitende können somit sehr wohl selbst bestimmen, welches Mindestmass an zusammenhängender Freizeit notwendig ist, damit der gesundheitliche Ausgleich tatsächlich möglich ist.

Arbeitszeiten: Wie verhält sich ein Spital korrekt?

  • Die vertragliche Sollarbeitszeit sollte weniger als 50 Stunden pro Woche betragen.
  • Die Dienstplanung sollte eine Reserve bis zur Höchstarbeitszeitgrenze beinhalten.
  • Die Erfassung der Arbeitszeiten muss wahrheitsgetreu erfolgen.
  • Die effektiv bezogenen Pausen und die Weiterbildungszeiten sollten dargestellt sein.
  • Die entstandene Überzeit muss korrekt ausgeschieden und ausgewiesen werden.
  • Noch bestehendes, kompensationsfähiges Überzeitguthaben muss für den Mitarbeitenden ersichtlich sein.
  • Der Abbau von Überzeit muss in Absprache mit den einzelnen Mitarbeitenden erfolgen, d. h. es braucht eine explizite oder mindestens stillschweigende Zustimmung der Mitarbeitenden, damit Freizeit die notwendige Erholung ermöglicht.
  • Es braucht Klarheit/Transparenz in der Dienstplanung (unterschiedliche Icons): Welche freien Tage stellen eine Kompensation von z. B. Wochenenddiensten dar? Welche einen geplanten Abbau von Überzeit durch Freizeit? Oder welche einen freien Tag im Rahmen von Teilzeit?
  • Eine zeitnahe Kompensation der Überzeit ist anzustreben, idealerweise innert 14 Wochen, ansonsten gilt es, mit den einzelnen Mitarbeitenden einen Plan für die Kompensation innert zwölf Monaten zu erarbeiten.

Hinweis: An den meisten Spitalstandorten hat es in der Parametrierung des etablierten Zeiterfassungs- und Dienstplanungssystems einen Fehler drin, der dazu führt, dass Überzeit fortlaufend mit Minuszeit verrechnet wird. Diese Parametrierung führt dazu, dass die Überzeitguthaben sinken, ohne dass ein vereinbarter Ausgleich durch Freizeit erfolgt ist. Dies ist nicht korrekt, das haben auch viele Spitäler erkannt. Der vsao und gewisse Spitäler versuchen, diese falsche Parametrierung beim Anbieter des Zeiterfassungsprogramms korrigieren zu lassen.

Nicht korrekten Umgang der Spitäler bitte melden

Für den vsao ist der nicht korrekte Umgang mit dem Überzeitabbau ein Nulltoleranzthema. Wir rufen die Mitglieder explizit dazu auf, uns oder den vsao-Sektionen die Kliniken zu nennen, die nicht korrekt mit den Überzeitsaldi umgehen und nicht gewillt sind, sich dieser Problematik anzunehmen. Bitte macht die entsprechenden Meldungen über die Meldestelle www.meldestelle-vsao.ch. Vielen Dank!

42+4

Der korrekte Umgang mit der Überzeit ist auch ein wichtiger Bestandteil der Umsetzung der 42+4-Stunden-Woche. Mehr zu diesem Konzept mit 42 Stunden Dienstleistung rund um die Patientenbetreuung und 4 Stunden strukturierter Weiterbildung pro Woche inkl. Argumentarium und Umsetzungsanleitung findet sich unter www.42plus4.ch.