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Es braucht mehr Studien- und Weiterbildungsplätze!

Rund um den Numerus clausus bzw. den Eignungstest für einen Medizinstudienplatz entstand diesen Herbst in der Schweiz eine teilweise verwirrliche Debatte. Klar ist: Zusätzliche Studien- und Weiterbildungsplätze sind dringend nötig.

Das Medizinstudium ist beliebt, Ärztinnen und Ärzte sind gesucht. Eine Erhöhung der verfügbaren Studienplätze ist dringend nötig. Bild:  Adobe Stock
Das Medizinstudium ist beliebt, Ärztinnen und Ärzte sind gesucht. Eine Erhöhung der verfügbaren Studienplätze ist dringend nötig. Bild:  Adobe Stock

Wird der Numerus clausus abgeschafft? Wer Ende September Schweizer Medien konsumierte, musste zu diesem Schluss kommen. «Der Numerus clausus fällt» oder «Die Abschaffung des Numerus clausus weckt gemischte Reaktionen», lauteten Titel von Beiträgen in diversen Zeitungen und Onlinemedien. Ursprung der Schlagzeilen: Der Ständerat hatte am 23. September die Motion «Numerus clausus. Schluss mit dem Ausschluss von Medizinstudierenden aufgrund anderer Kriterien als Kompetenzen und Qualität» von Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit mit einer überraschend deutlichen Mehrheit von 32 zu 9 Stimmen angenommen. Da zuvor bereits der Nationalrat ebenso deutlich mit 144 zu 43 Stimmen zugestimmt hatte, wurde die Motion damit an den Bundesrat überwiesen.

Dieser fasste so den Auftrag, «im Bereich der universitären medizinischen Aus- und Weiterbildung in Absprache mit den Kantonen Massnahmen zu ergreifen, sodass die Zulassung von Studierenden hauptsächlich auf Kompetenz- und Qualitätskriterien beruht». Zusätzlich soll er «insbesondere in der Grundversorgung und im ambulanten Bereich für ein besseres Angebot an Studienplätzen und klinischen Praktika sorgen», wie es im Motionstext heisst.

Gemeint war vor allem die Zahl der Studienplätze

Im Nationalrat hatte es keine echte Debatte gegeben, im Ständerat hingegen äusserten sich diverse Ratsmitglieder. Aus dieser Diskussion ging klar hervor, dass das Hauptanliegen des Motionärs und seiner Unterstützenden die Erhöhung des Studienplatzangebots und der Weiterbildungsplätze ist.

Die Abhängigkeit der Schweiz von im Ausland ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten wurde mehrfach als Grund für den Bedarf an zusätzlichen Studienplätzen genannt. Ebenso erwähnt wurde die paradoxe Situation, dass immer mehr junge Schweizerinnen und Schweizer wegen der fehlenden Möglichkeiten in der Schweiz für das Medizinstudium ins Ausland ausweichen. Auch die Notwendigkeit, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, um die Berufsausstiegsrate zu senken, wurde betont, unter anderem von Mitte-Ständerätin Marianne Maret.

Unklare Begriffe und Bedeutungen

In der Debatte zeigte sich aber auch, dass die Begriffe teilweise vermischt werden. Worum geht es genau? Grundsätzlich ist es so, dass die Nachfrage nach Studienplätzen in Humanmedizin das Angebot übersteigt. In der Schweiz gab es zum Beispiel im Jahr 2024 rund 5600 Interessentinnen und Interessenten für knapp 2200 Studienplätze.

Der Begriff «Numerus clausus» (Lateinisch für «beschränkte Anzahl») wird üblicherweise für eine kapazitätsgesteuerte Limitierung von Studienplätzen verwendet. Wie diese vergeben werden, ist unterschiedlich geregelt. In Deutschland zum Beispiel erfolgt die Vergabe der verfügbaren Studienplätze teilweise mithilfe der Abiturnote. Für bestimmte Studiengänge brauchen die Studierenden eine bestimmte Abschlussnote, die jährlich angepasst wird. In der Schweiz erfolgt die Selektion in den meisten Studiengängen via Prüfungen nach dem ersten oder nach dem zweiten Studienjahr. So wird dies zum Beispiel an den Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH) gehandhabt oder in besonders beliebten Studienfächern wie Psychologie. Auch in der Medizin kommt dieses System zur Anwendung, aber nur an den drei Westschweizer Universitäten Genf, Lausanne und Neuenburg.

Die meisten Universitäten in der Schweiz hingegen setzen beim Medizinstudium auf den Eignungstest, der in der Schweiz meistens gemeint ist, wenn vom Numerus clausus die Rede ist. Dieser Eignungstest kommt zum Einsatz, um die Studienplätze in Humanmedizin an den Universitäten Basel, Bern, Freiburg, Tessin, Zürich und an der ETH Zürich zu vergeben. Seit seiner Einführung 1998 ist er umstritten und sorgt immer wieder für Diskussionen. Regelmässig wird infrage gestellt, ob diese Selektionsmethode geeignet ist, um die «richtigen » Medizinstudierenden auszuwählen, ob die naturwissenschaftlichen Kompetenzen und die Fähigkeiten, quantitative und formale Probleme zu lösen, zu stark gewichtet werden oder ob die Methode jene benachteiligt, die beispielsweise Hausärztin oder Hausarzt werden wollen.

2040 fehlen 5500 Ärztinnen und Ärzte

Klar ist, dass sich in der Schweiz ein Ärztemangel abzeichnet. Schon heute sind gemäss Ärztestatistik der FMH 40 Prozent der in der Schweiz tätigen Ärztinnen und Ärzte im Ausland ausgebildet worden. Dies ist nicht nur ethisch fragwürdig, sondern es ist auch alles andere als sicher, dass es in Zukunft gelingen wird, genügend gut qualifizierte Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland zu rekrutieren. Die Nachbarländer der Schweiz bemühen sich stark darum, ihre Fachkräfte im Land zu halten. Berechnungen des Beratungsunternehmens PWC prophezeien, dass der Schweiz bereits im Jahr 2040 rund 5500 Ärztinnen und Ärzte fehlen werden.

Die Art und Weise, wie die Medizinstudienplätze vergeben werden, ist deshalb eigentlich sekundär. Die Anpassung oder gar Abschaffung des mit dem Begriff «Numerus clausus» gemeinten Eignungstests löst das Problem nicht. Auch die Einführung eines obligatorischen Pflegepraktikums als Voraussetzung zur Zulassung zum Eignungstest, wie dies zum Beispiel der Zürcher Kantonsrat Josef Widler in einer Motion fordert, wird den Ärztemangel nicht verhindern.

Wichtig und dringend ist einzig und allein die Erhöhung der Anzahl Studien- und Weiterbildungsplätze. Das kam bereits in der Debatte rund um die Motion Roduit zum Ausdruck, das fordert auch Josef Widler in einem ebenfalls im Zürcher Kantonsrat eingereichten dringlichen Postulat.

Arbeitsbedingungen nicht vergessen

Der vsao, die swimsa und die FMH pochen ebenfalls auf diese Erweiterung der Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Auch eine Diskussion über den Eignungstest ist erwünscht, um Möglichkeiten zu prüfen, wie soziale Kompetenzen stärker berücksichtigt werden können. Nicht zu vergessen ist zudem die Verbesserung der Arbeitsbedingungen vor allem von Assistenzärztinnen und -ärzten, um den frühzeitigen Berufsausstieg zu verhindern. Erschöpfungssymptome haben bei Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzten in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Um die Ärztinnen und Ärzte im Beruf zu halten, muss deshalb vor allem auch bei den Arbeitsbedingungen angesetzt werden.

Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Nein, der Numerus clausus (im Sinne des Eignungstests) wird voraussichtlich nicht abgeschafft. Aber hoffentlich kann die Diskussion darüber dazu beitragen, dass die richtigen Massnahmen getroffen werden, um den ärztlichen Nachwuchs und die Gesundheitsversorgung nachhaltig zu sichern.