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Fehler besprechen – Qualität erhöhen

Eine positive und konstruktive Fehlerkultur ist wichtig, um die Qualität in der medizinischen Behandlung zu verbessern. Gehen sie mit gutem Beispiel voraus, können Oberärztinnen und Oberärzte eine aktive Lernkultur fördern.

Fehler passieren überall. Geht ein Team offen damit um und bespricht, was passiert ist, kann es Fehlerquellen schneller erkennen und Risikosituationen besser vermeiden. Bild: Adobe Stock
Fehler passieren überall. Geht ein Team offen damit um und bespricht, was passiert ist, kann es Fehlerquellen schneller erkennen und Risikosituationen besser vermeiden. Bild: Adobe Stock

Was sind meine Aufgaben als Oberärztin/Oberarzt?

  • Oberärztinnen und -ärzte sind täglich in die Qualitätssicherung und -verbesserung involviert.
  • Sie fördern eine positive und konstruktive Fehlerkultur und lassen eine Diskussion über Fehler zu.
  • Sie kennen die wichtigsten Qualitätsverbesserungsinstrumente: Oberarztvisiten, Fallbesprechungen, Fehleranalysen und Meldepflichten, CIRS und MoMoKo.
  • Sie können durch eine konstruktive Fehleranalyse die Prozesse und Behandlungssicherheit massgeblich beeinflussen.

Oberärztinnen und -ärzte sind mit neuen Führungsaufgaben konfrontiert, die dazu beitragen, die Sicherheit und Qualität der Patientenbehandlung zu verbessern. Die Qualität der Behandlung von Patientinnen und Patienten gewinnt nicht nur innerhalb der Ärzteschaft, sondern auch in der Öffentlichkeit und bei Kostenträgern zunehmend an Bedeutung. Studien in den USA zeigten, dass mit mehr Behandlungen nicht zwingend eine Verbesserung von patientenrelevanten Endpunkten, Lebensqualität und Patientenzufriedenheit erreicht wird [1].

Durch Fortschritte und neue Möglichkeiten in der medizinischen Behandlung schreitet die Fragmentierung in der Patientenbehandlung fort, was insbesondere für die Ärztinnen und Ärzte der Allgemeinen Inneren Medizin (AIM) eine grosse Herausforderung darstellt. Der nationale Qualitätsbericht im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zeigt auf, dass in der Schweiz die Qualität der medizinischen Versorgung verbessert werden muss [2]. Konkret erwähnt wurde ein Bedarf für eine nationale Strategie in der Grundversorgung und im Spital zur Verbesserung der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit mehreren chronischen Erkrankungen (Multimorbidität). Wichtige Punkte wie die Überdiagnose und Überbehandlung sind vor allem im Schweizer Gesundheitswesen eine zunehmende Herausforderung. Initiativen wie «Smarter Medicine» haben das Ziel, unnötige Eingriffe und Untersuchungen zu reduzieren [3, 4].

Qualität: Definition und Konzepte

Eine Definition der Qualität in der medizinischen Behandlung ist nicht einfach, da im Gesundheitswesen verschiedene Dimensionen interagieren. Die medizinische Qualität kann in drei Dimensionen beschrieben werden [5, 6]:

  • Strukturqualität: z. B. Anzahl Pflegepersonen pro Patientin/Patient, adäquate Wartung technischer Geräte.
  • Prozessqualität: z. B. Behandlung einer Krankheit nach dem derzeitigen Wissensstand.
  • Outcome-Qualität: z. B. Heilungsrate, ungeplante Rehospitalisationen, Patientenzufriedenheit, Mortalität.

Quantifiziert wird die Qualität mit sog. Qualitätsindikatoren, und die «Güte» der Qualität wird durch einen Vergleich mit einer festgelegten Norm oder mit anderen Leistungserbringern beschrieben. Die Definitionen der Werte und Ziele eines medizinischen Systems sind in der Regel geprägt von den geltenden gesellschaftlichen Werten. Wichtig ist, dass Qualitätsindikatoren wirklich geeignet sind, die Behandlungsqualität zu steigern, ohne Fehlanreize zu verursachen [4]. In einem Qualitätsentwicklungssystem wird bei inkonsistenten Patientinnen und Patienten, Leistungsversicherungen sowie Ärztinnen und Ärzten das Vertrauen darauf gestärkt, dass die Leistungserbringer die beste Behandlung garantieren. In einem Plan-Do-Check-Act-(PDCA-)Zyklus wird dabei eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung angestrebt.

Was sind die oberärztlichen Aufgaben dabei?

Die wichtigste Grundlage für eine Qualitätsverbesserung sind der Wille und die Offenheit, über Fehler und Probleme offen und konstruktiv nachzudenken. Eine Qualitätsverbesserung kann nur erreicht werden, wenn eine wertfreie Analyse mit einer Diskussion von Massnahmen erfolgt. Dies ist im Alltag und vor allem auch zu Beginn einer oberärztlichen Tätigkeit eine Herausforderung, da Selbstzweifel und Selbstkritik zum Prozess der Transition in die Funktion gehören. Führungsschulungen und Trainings können helfen, eine aktive Fehlerkultur zu unterstützen.

Wichtige Instrumente der Qualitätsverbesserung

Nachfolgend sind die wichtigsten Instrumente der Qualitätsverbesserung, die im Spitalalltag eingesetzt werden, beschrieben. Diese Instrumente setzen auf verschiedenen Ebenen an.

Critical Incident Reporting System (CIRS)

Sicherheitssysteme wurden ursprünglich z. B. zur Verbesserung der Flugsicherheit eingesetzt. In der Medizin hat sich das Critical Incident Reporting System (CIRS) als wichtiges Instrument zur Verbesserung der Patientensicherheit etabliert [7].

Auf anonymer Basis werden Ereignisse, die zu Beinahefehlern oder Fehlern geführt haben, gemeldet. Die gemeldeten Fälle sollten in einem interdisziplinären Team diskutiert und Optimierungen definiert werden. Dabei liegt der Schwerpunkt bei der Identifikation von Systemproblemen. Zudem fördern die Diskussionen eine aktive und positive Fehlerkultur, die das Auftreten von weiteren Fehlern reduziert [8, 9]. Ein aktives Fehlermanagement erhöht die Patientensicherheit, denn es hilft, Risikosituationen und mögliche Fehlerquellen rasch zu erkennen. Eine Fehlerkultur wird zur Lernkultur, Routineabläufe und Arbeitsqualität werden optimiert, und die Qualitätssicherheit wird verbessert.

MoMoKo

Die Morbiditäts- und Mortalitätskonferenz (M & M oder MoMoKo) ist ein etabliertes Besprechungsformat zur strukturierten retrospektiven Aufarbeitung besonderer Behandlungsverläufe oder (unerwünschter) Ereignisse mit dem Ziel, daraus zu lernen und konkrete Massnahmen zur Verbesserung der Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung abzuleiten [8, 10]. Durch einen gemeinsamen Lerneffekt soll das Auftreten vergleichbarer Ereignisse vermieden oder Behandlungsabläufe verbessert werden.

Sicherheit für Betroffene und Personal

Verschiedene Aktivitäten führen zu einer Verbesserung der Patientensicherheit und der Sicherheit des Personals.

Klassische Qualitätstools zur Unterstützung der Diagnose und der Behandlungssicherheit sind klinische Praxis-Guidelines (z. B. Smarter-Medicine-Top-5-Listen; Choosing Wisely oder UpToDate) [11], Algorithmen, interdisziplinäre Boards (z. B. Tumorboard), Fortbildungen und Fallbesprechungen (z. B. bei Oberarztbesprechungen, Visiten oder Chefvisiten).

Die Sicherheit des Personals wird unterstützt durch das Erfassen des Impfstatus, systematische Hepatitis-B-Impfungen, Algorithmen bei Verletzungen (z. B. Exposition von infektiösen Materialien), Hygienekonzepte und die Kontrolle der effektiven Durchführung der Massnahmen. Viele der Massnahmen für die Sicherheit des Personals werden von der Suva oder vom Bund vorgeschrieben.

Als Oberarzt/Oberärztin ist es wichtig, Qualitätstools und Vorgaben zu kennen und die Umsetzung aktiv zu unterstützen.

Vigilanz-Systeme: Pharmakovigilanz, Hämovigilanz, Materiovigilanz

Treten Arzneimittelnebenwirkungen oder unerwünschte Wirkungen bei Transfusionen auf, sollte eine Meldung bei Swissmedic erfolgen. Im Alltag geht oft unter, dass gemäss dem neuen Heilmittelgesetz (in Kraft seit 1. Januar 2019) schwerwiegende Ereignisse gemeldet werden müssen, wenn sie [12]:

  • bisher unbekannt oder in der Fachinformation des betreffenden Medikamentes ungenügend erwähnt sind;
  • tödlich verlaufen oder lebensbedrohend sind;
  • zu einer Hospitalisation oder deren Verlängerung führen;
  • schwere oder bleibende Schäden verursachen;
  • sonst als medizinisch wichtig zu beurteilen sind (z. B., wenn durch eine rechtzeitige medizinische Intervention eine der oben erwähnten Situationen vermieden wurde).

Der Kausalzusammenhang zwischen einem Ereignis und einem Medikament muss nicht nachgewiesen werden: Der Verdacht allein reicht, um zu melden.

Transfusionsreaktionen, die meldepflichtig sind, werden oft nicht erkannt. Wichtig ist, dass ein Oberarzt / eine Oberärztin die Typen von Transfusionsreaktionen kennt und bei einem Verdacht mit den zuständigen Stellen des Labors das Vorgehen bespricht [13].

Ein Leitfaden zur oberärztlichen Tätigkeit

Der Schritt von der Assistenzzeit hin zur oberärztlichen Tätigkeit ist mit vielen neuen Aufgaben verbunden. Neben den fachlichen Kompetenzen sind auch vermehrt überfachliche Kompetenzen wie eine gute Kommunikation sowie didaktische und Führungsqualitäten gefordert. Die Artikelserie «Next Level» zeigt entsprechende Herausforderungen auf und bietet praktische Tipps und Unterstützung für die tägliche Arbeit. Die leicht angepassten und teilweise stark gekürzten Texte stammen aus dem Leitfaden «Die oberärztliche Tätigkeit – eine neue Herausforderung» und wurden vom Verlag Hogrefe sowie den jeweiligen Autorinnen und Autoren freundlicherweise für einen Nachdruck zur Verfügung gestellt. Der gesamte Leitfaden mit den ungekürzten Texten und weiteren Themen ist beim Verlag Hogrefe oder bei der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) erhältlich.

Roten C, Perrig M (Hrsg.): Die oberärztliche Tätigkeit – eine neue Herausforderung. Ein praktischer Leitfaden. 1. Auflage, Bern: Hogrefe Verlag, 2021.

Leitfaden

  1. Wennberg JE. Tracking Medicine: A Researcher’s Quest to Understand Health Care. 1.ed. 2010: Oxford: Oxford University Press; 2010:344.
  2. Bundesamt für Gesundheit (BAG). Nationaler Qualitätsbericht zeigt Verbesserungspotenzial [Internet]. Bern: BAG; 8.11.2019 [abgerufen am 16.12.2020]. Verfügbar unter: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/aktuell/news/news-08-11-2019.html
  3. Gaspoz JM. Smarter Medicine: do physicians need political pressure to eliminate useless interventions? Swiss Med Wkly. 2015;145:w14125. https://doi.org/10.4414/smw.2015.14125
  4. SGAIM. Qualität im Spital [Internet]. Qualitätswebsite SGAIM [abgerufen am 16.12.2020]. Verfügbar unter: https://www.sgaim.ch/de/qualitaet/qualitaet-im-spital.html
  5. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Empfehlungen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften – Erhebung, Analyse und Veröffentlichung von Daten über die medizinische Behandlungsqualität. Schweiz Ärzteztg. 2009; 90(26):1044–54.
  6. Donabedian A. Evaluating the Quality of Medical Care. 1966. Milbank Q. 2005;83(4):691–729. https://doi.org/10.1111/j.1468-0009.2005.00397.x
  7. Abstoss KM, Shaw BE, Owens TA, Juno JL, Commiskey EL, Niedner MF. Increasing medication error reporting rates while reducing harm through simultaneous cultural and system-level interventions in an intensive care unit. BMJ Qual Saf. 2011;20(11):914–22. https://doi.org/10.1136/bmjqs.2010.047233
  8. Braithwaite J, Westbrook MT, Travaglia JF, Hughes C. Cultural and associated enablers of, and barriers to, adverse incident reporting. Qual Saf Health Care. 2010;19(3):229–33. https://doi.org/10.1136/qshc.2008.030213
  9. Patientensicherheit Schweiz – Stiftung für Patientensicherheit. CIRRNET [Internet]. Zürich: Patientensicherheit Schweiz [abgerufen am 16.12.2020]. Verfügbar unter: https://www.patientensicherheit.ch/cirrnet/
  10. Patientensicherheit Schweiz – Stiftung für Patientensicherheit. Leitfaden Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen [Internet]. Zürich: Patientensicherheit Schweiz [abgerufen am 16.12.2020]. Verfügbar unter: https://patientensicherheit.ch/forschung-entwicklung/mm-konferenzen/
  11. smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland [Internet]. Bern: Trägerverein smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland [abgerufen am 8.4.2021]. Verfügbar unter: https://www.smartermedicine.ch/de/home.html
  12. Schweizerisches Heilmittelinstitut Swissmedic. Vigilance-System. Meldung unerwünschter Wirkungen [Internet]. Bern: Swissmedic [abgerufen am 16.12.2020]. Verfügbar unter: https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/humanarzneimittel/marktueberwachung/pharmacovigilance/vigilance-system.html
  13. Schweizerisches Heilmittelinstitut Swissmedic. Meldung unerwünschter Transfusionswirkungen (Haemovigilance) [Internet]. Bern: Swissmedic [abgerufen am 16.12.2020]. Verfügbar unter: https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/humanarzneimittel/marktueberwachung/haemovigilance/haemovigilance-reporting.html