- Next Level
Teaching in der Klinik
Effektives Teaching ermöglicht Assistenzärztinnen und -ärzten, ihr Vorwissen zu aktivieren und komplexes Denken zu üben. Wie gelingt dies trotz eines vollen Arbeitstages?
15.10.2024
Was sind meine Aufgaben als Oberärztin oder Oberarzt?
Eine der Hauptaufgaben ist es, das Lernen im klinischen Alltag zu fördern. Dies beinhaltet, zusammen mit den Lernenden Wissenslücken zu orten und diese durch aktives Lernen zu füllen. Hat die teachende Person Spass dabei, wirkt sich dies auch auf die Lernenden positiv aus.
Teaching im klinischen Alltag ist mehr als nur das Vermitteln von Fachwissen – das «Wie» ist ebenso wichtig wie das «Was». Dabei können auch kurze Momente genutzt werden, um die Assistenzärztinnen und -ärzte einzubeziehen. Folgende Tipps zeigen, wie das möglich ist:
Teaching-Checkliste
- Teaching ansagen: «Das hier ist ein guter Teaching-Moment. Lass uns kurz auf Thema X oder Patient Y eingehen.» Angesagtes Teaching wird leichter als solches wahrgenommen. Die Ansage erleichtert es den Assistentinnen und Assistenten auch, für einen Moment in die Rolle der Lernenden zu wechseln.
- Es muss nicht perfekt sein: Wenn Fragen kommen, die Sie nicht beantworten können, nutzen Sie den Moment: «Gute Frage, ich habe keine Ahnung. Weiss das sonst jemand hier im Raum? Nein? Lesen Sie das bitte für mich/uns nach, dann können Sie es uns morgen erklären.»
- Aufträge abholen: Darauf achten, dass keine verteilten Lernaufträge vergessen gehen!
- Zielgruppe: Die Energien auf diejenigen richten, die tatsächlich zuhören und nicht auf diejenigen, die kein Interesse zeigen.
Teaching in der direkten Eins-zu-eins-Betreuung
Bei den täglichen Patientenbesprechungen, gemeinsamen Visiten oder Familiengesprächen, Rapporten und supervidierten Eingriffen ergeben sich viele «teachable moments». Sie sind meist kurz, jedoch sehr effizient. Im Folgenden einige Anregungen:
Rückfragen: Fragen Sie nach dem Ausbildungsniveau der Assistentinnen und Assistenten. Das hilft Ihnen, die Wissenslücken zu sehen und Ihr Teaching entsprechend anzupassen. «Target, then teach.»
Konkrete Beispiele für den Alltag
Der Assistent fragt nach der richtigen Dosis von Diuretika: «Wie viel vom Medikament X soll ich geben?» Dies kann man mit einer Rückfrage beantworten: «Wie viel möchten Sie denn geben? Und warum? Was sind Ihre Überlegungen?»
Was wäre, wenn …: Mnemotechnisch sehr hilfreich ist die Modulierung des Problems.
Konkrete Beispiele für den Alltag
Nach der obigen Beispiel-Diskussion fragen Sie: «Wie wäre denn die Dosis bei einem Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion? Oder wenn der Patient noch nie Diuretika gehabt hat? Was würde das ändern?»
One Minute Preceptor: Eine formalisierte Variante des situativen Lernens ist der «One Minute Preceptor» [1]. In Tabelle 1 sind Beispiele dargestellt, wie die Assistentin oder der Assistent während einer Patientenvorstellung mittels situativen Fragens miteinbezogen werden kann. Dabei ist der Teacher am Steuer – er leitet die Teaching-Einheit.
Video zum «One Minute Preceptor»:
SNAPPS: Für «SNAPPS» müssen die Assistentinnen und Assistenten ein gewisses Vorwissen über den Ablauf dieses Lernmodells haben; sie sind hier – im Gegensatz zum ersten Modell – am Steuer und bestimmen den Inhalt der Weiterbildungseinheit. Am besten funktioniert es, wenn das Modell einer ganzen Praxis oder Klinik bekannt ist und vom ganzen Kader mitgetragen wird.
Video zu SNAPPS:
Rollenwechsel: Sind Sie in der Situation, dass eine Unterassistentin einen Patienten vorstellt, kann der Assistent aufgefordert werden, die kaderärztliche Rolle zu übernehmen. Das erhöht das Verantwortungsgefühl, stimuliert die Emotionen und verankert die Lerneinheit besser im Gedächtnis.
Repetition: Am Ende des Tages kann kurz erfragt werden, was heute gelernt wurde. Dieses abendliche Fazit dient der Reflexion, der Repetition und damit dem Lernprozess. Auch können dabei Fehler korrigiert und der Wissenszuwachs überprüft werden. Geben Sie dabei auch etwas von sich selbst preis: Was haben Sie gelernt in dieser Woche?
Eine Übersicht über weitere Techniken des Teachings in der Klinik findet sich unter [3].
Teaching in Kleingruppen
Mit Kleingruppen sind Gruppen von vier bis zwölf Personen gemeint. Die Dauer der Teaching-Einheiten kann von kurzen 30-Minuten-Sequenzen bis zu Workshops von mehreren Stunden gehen. Das Ziel des Teaching mit einer beschränkten Anzahl von Personen besteht darin, gute Interaktionen herzustellen. Das Wissen einer Gruppe ist immer grösser als das des Einzelnen.
Vorbereitung: Die Art der Vorbereitung hängt von der Gruppengrösse und der Länge des geplanten Teachings ab.
- Was sind die Key Messages? Die Message kann anspruchsvoll sein («Die Sick-day-Rule muss dem Patienten, den Sie auf bestimmte Insuline einstellen, wirklich erklärt werden!») oder ganz einfach («Keine D-Dimer-Bestimmung ohne Berechnung des revised Geneva-Score!»). Wenn die Message feststeht, überlegen Sie sich als Nächstes, wie Sie die Gruppe dahinführen. Ein Beispiel aus dem Klinikalltag hilft meist sehr gut.
- Wie viel Zeit braucht es?
- Welche Lernsituation ist geeignet?
- Welche Hilfsmittel brauche ich? Beispiele: Welche Teaching Tools stehen zur Verfügung? Wie viel sollen die Teilnehmenden selbst übernehmen? Ist eine PowerPoint-Präsentation sinnvoll? Soll die Gruppe etwas zusammen erarbeiten? Möchten Sie Kleingruppen bilden? Quiz? Brauchen Sie Flipcharts, Schreiber, Post-its etc.? Brauchen Sie dafür Hilfe?
- Peer Teaching? Peer Teaching ist sehr effektiv. Lassen Sie deshalb den Assistentinnen und Assistenten genügend Raum, ihren Kolleginnen und Kollegen etwas zu erklären oder beizubringen.
Durchführung: Starten Sie mit der Fallbeschreibung, einer Einstiegsfrage und etwas Theorie. Nun geben Sie den Teilnehmenden Raum für ihre eigene Denkarbeit, im Plenum oder in Kleingruppen. Stellen Sie z. B. drei oder vier Fragen und geben Sie den Teilnehmenden einige Minuten, um zu zweit Antworten zu formulieren.
Flipchart, Post-its, Posters, Stationen: Die Resultate der Denkarbeit werden gesammelt und direkt auf ein Flipchart geschrieben, damit sie anschliessend zusammen besprochen werden können.
Clinical-Reasoning-Übungen
Clinical Reasoning beruht auf Lerntheorien, die für das Abspeichern neuer Informationen die Aktivierung von eigenem Wissen nutzen. Dieser Abschnitt zeigt, wo dies bewusst auf das Teaching anwendbar ist [3, 4, 5]:
Unser Gedächtnis ist zweigeteilt (Dual Process Theory) in ein Arbeitsgedächtnis und ein Langzeitgedächtnis.
Situationen, die uns bekannt sind, weil wir sie schon einmal gelernt haben, vergleichen wir rasch und intuitiv mit dem entsprechenden Wissen in unserem Langzeitgedächtnis (Pattern Recognition). Begegnen wir hingegen einer neuen Situation, setzen analytische Denkprozesse ein. Wir verarbeiten die zur Verfügung stehenden Informationen, stellen Hypothesen auf, suchen neue Informationen, verwerfen aufgestellte Hypothesen – so lange, bis wir eine befriedigende Diagnose und Therapie haben (hypothetisch-deduktives Denken). Diese beiden Prozesse ergänzen sich in unserem Alltag. Wie wir Letzteres üben und mit Ersterem verknüpfen können, zeigt Tabelle 3.
Alles braucht Übung
Bei allen beschriebenen Techniken steht das Aktivieren der Denkprozesse im Zentrum. Fragen sind dazu der Schlüssel. Ausprobieren – und sich nicht entmutigen lassen. Alles braucht Übung. Schauen Sie, was Ihnen persönlich liegt und welches Werkzeug Sie am einfachsten benutzen können [8, 9, 10].
Last, but not least: Holen Sie sich Feedback von Ihren Kolleginnen und Kollegen, von den Assistentinnen und Assistenten, von Ihren Vorgesetzten, wenn sie dabei waren. Auf diese Weise profitieren auch Sie selbst davon.
Ein Leitfaden zur oberärztlichen Tätigkeit
Der Schritt von der Assistenzzeit hin zur oberärztlichen Tätigkeit ist mit vielen neuen Aufgaben verbunden. Neben den fachlichen Kompetenzen sind auch vermehrt überfachliche Kompetenzen wie eine gute Kommunikation sowie didaktische und Führungsqualitäten gefordert. Die Artikelserie «Next Level» zeigt entsprechende Herausforderungen auf und bietet praktische Tipps und Unterstützung für die tägliche Arbeit. Die leicht angepassten und teilweise stark gekürzten Texte stammen aus dem Leitfaden «Die oberärztliche Tätigkeit – eine neue Herausforderung» und wurden vom Verlag Hogrefe sowie den jeweiligen Autorinnen und Autoren freundlicherweise für eine Zweitveröffentlichung zur Verfügung gestellt. Der gesamte Leitfaden mit den ungekürzten Texten und weiteren Themen ist beim Verlag Hogrefe oder bei der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) erhältlich.
Literatur
- Neher J, Gordon K, Meyer B, Stevens N. A fivestep «microskills» model of clinical teaching. J Am Board Fam Pract. 1992;5:419–24.
- Wolpaw TM, Wolpaw DR, Papp KK. SNAPPS: A Learner-centered Model for Outpatient Education. Acad Med. 2003;78:893–8. https://doi.org/10.1097/00001888-200309000-00010
- Irby DM, Wilkerson LA. Teaching when time is limited. BMJ. 2008;336:384–7. https://doi.org/10.1136/bmj.39456.727199.AD
- Triacca ML, Gachoud D, Monti M. Kognitive Aspekte medizinischer Fehler. Schweiz Med Forum. 2018;18(13–14):304–7. https://doi.org/10.4414/smf.2018.03060
- Nendaz M, Charlin B, LeBlanc V, Bordage G. Le raisonnement clinique: données issues de la recherche et implications pour l’enseignement. Pédagogie Médicale. 2005;6:235–54. https://doi.org/10.1051/pmed:2005028
- Nendaz M, Perrier A. Diagnostic errors and flaws in clinical reasoning: mechanisms and prevention in practice. Swiss Med Wkly. 2012;142:w13706. https://doi.org/10.4414/smw.2012.13706
- Eva KW. What every teacher needs to know about clinical reasoning. Med Educ. 2005;39(1):98–106. https://doi.org/10.1111/j.1365-2929.2004.01972.x
- Spencer J. ABC of learning and teaching in medicine: Learning and teaching in the clinical environment. BMJ. 2003;326:591–4. https://doi.org/10.1136/bmj.326.7389.591
- Harden R, Laidlaw J. Essential Skills for a Medical Teacher. An Introduction Teaching and Learning in Medicine. 3rd. ed. Amsterdam: Elsevier; 2020.
- Dent J, Harden R, Hunt D. A Practical Guide for Medical Teachers. 5th. ed. Amsterdam: Elsevier; 2017.