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Effektive patientenzentrierte Kommunikation

Im ärztlichen Alltag gibt es einige kommunikative Herausforderungen. Dabei ist nicht nur wichtig, was Ärztinnen und Ärzte kommunizieren, sondern auch, wie sie dies tun.

Der Arzt informiert die Patientin über ihre Erkrankung sowie mögliche Behandlungsoptionen und bezieht sie so in die Entscheidungsfindung mit ein. Bild: Adobe Stock
Der Arzt informiert die Patientin über ihre Erkrankung sowie mögliche Behandlungsoptionen und bezieht sie so in die Entscheidungsfindung mit ein. Bild: Adobe Stock

Was sind meine Aufgaben als Oberärztin oder Oberarzt?

Nebst der alltäglichen Gesprächsführung mit den Patientinnen und Patienten gehört das Ansprechen heikler Themen zu den oberärztlichen Aufgaben, was eine kommunikative Herausforderung sein kann.

Dazu gehören z. B.

  • das Überbringen schlechter Nachrichten,
  • die Besprechung der Reanimationsentscheidungen,
  • das Ansprechen eines Therapieabbruchs,
  • ein Gespräch bei Behandlungsfehlern,
  • das Ansprechen von Alkoholkonsum,
  • das Ansprechen von häuslicher Gewalt,
  • die Gesprächsführung mit einem Dolmetscher.

Aber auch das Alltagsgespräch auf der klinischen Visite oder an Rundtischgesprächen kann herausfordernd sein ([1], dort S. 44–62).

Der aktuelle medizinische Fortschritt führt dazu, dass die Distanz zwischen Ärztinnen/Ärzten und Patientinnen/Patienten immer grösser wird und die Ansprüche an die ärztlichen Kommunikationsfähigkeiten sowie die Informationsbedürfnisse der zu behandelnden Personen stark zunehmen.

Was ist patientenzentrierte Medizin?

Es besteht die Gefahr, dass Entscheidungen bezüglich Diagnostik und Therapie ohne Einbezug der erkrankten Personen durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte gefällt werden. Dieses Risiko ist besonders vor dem Hintergrund der immer grösser werdenden Fragmentierung der medizinischen Behandlung und der zunehmenden Distanz zwischen ärztlichen Fachpersonen und Patientinnen und Patienten relevant [2]. Dies führt dazu, dass Letztere vor allem ein Defizit im Bereich der ärztlichen Kommunikation und der Aufklärung während eines Spitalaufenthaltes beklagen [1].

Ein relevanter Grund für das wachsende Interesse an patientenzentrierter Medizin ist, dass sich dadurch die Qualität der medizinischen Betreuung, die Patientenzufriedenheit und der klinische Verlauf verbessern [3]. Sie repräsentiert einen Wechsel von der traditionellen, paternalistisch geprägten, krankheitsorientierten Medizin zu einer Medizin, die die Bedürfnisse und Vorstellungen der Betroffenen erfasst und sie in jeder Phase der Betreuung in die Behandlung integriert [4]. Shared Decision Making (SDM) ist der zentrale Prozess in der Anwendung der patientenzentrierten Medizin.

Gemeinsam eine Entscheidung fällen

SDM ist ein Modell der Entscheidungsfindung im klinischen Kontext, gemäss dem ärztliche Fachpersonen und Betroffene – idealerweise mit deren Angehörigen – aktiv Informationen austauschen, verschiedene Behandlungsoptionen abwägen und partnerschaftlich eine Entscheidung fällen. Die Patientinnen und Patienten bringen ihre Werte und Bedürfnisse in die Diskussion ein, und die Ärztin oder der Arzt vermittelt fachliches Wissen, klinische Erfahrung und bietet eine objektive Distanz zur klinischen Problematik.

SDM bietet den Vorteil, dass die erkrankten Personen eine aktive Rolle haben, aber in der Entscheidungsfindung nicht allein gelassen werden. Aus ethischen Gründen ist SDM deshalb sehr sinnvoll und entspricht einem zunehmenden Bedürfnis der Betroffenen. SDM erhöht deren Wissen über ihre Erkrankung und fördert deren aktiven Einbezug, weshalb unnötige Behandlungen verhindert werden können [5]. Dieser Einbezug sollte aber stets an die Wünsche der Betroffenen angepasst werden. Nicht alle Menschen wollen am Entscheidungsprozess partizipieren. Das Modell sollte deshalb flexibel angewendet werden und laufend die Patientenbedürfnisse berücksichtigen [6]. Das SDM-Modell ist in Situationen anzuwenden, in denen präferenzsensitive Entscheidungen zentral sind, z. B. wenn mehrere gleichwertige Optionen zur Behandlung vorliegen.

Um mögliche Haftpflichtansprüche oder Schadenersatzforderungen nicht fürchten zu müssen – beispielsweise in Situationen, in denen Betroffene die Lebensqualität höher gewichten als die Lebensdauer – ist es wichtig, korrekt aufzuklären und dies zu dokumentieren [7].

Im Gegensatz zur arztorientierten Arzt-Patienten-Beziehung erfordert die patientenzentrierte Medizin ein hohes Mass an Kommunikationsfertigkeiten. Diese Fertigkeiten können in Interventionsprogrammen gut angeeignet werden [8].

Gespräche strukturieren

Das Arzt-Patienten-Gespräch ist ein Wechsel zwischen patienten- und arztzentrierter Gesprächsführung. Im Idealfall erzählen die erkrankten Personen, bis die Ärztin bzw. der Arzt genügend Informationen hat, um Hypothesen zu formulieren, die wiederum von den Betroffenen aufgenommen und weitergeführt werden. Es gibt praktisch anwendbare Akronyme, die als Gesprächstechnik die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten strukturieren und erleichtern [1].

WWSZ-Technik: Vier typische Techniken der patientenzentrierten Gesprächsführung beschreiben das Akronym WWSZ:

  • Warten
  • Wiederholen
  • Spiegeln
  • Zusammenfassen

Beim Warten stellt sich die grosse Frage, wie lange man schweigen soll, ohne dass es bedrückend wird. Bis zu drei Sekunden sind nicht unangenehm. Der Augenkontakt der Ärztin oder des Arztes sollte eine Aufforderung an die Betroffenen bedeuten, d. h. eine Einladung, sich Zeit nehmen zu können, zu überlegen, wie sie ihr Anliegen formulieren möchten. Umgekehrt kann die Pause das Gesagte auch hochstufen. Das Wiederholen hat seine Wirkung, wenn Patientinnen oder Patienten im Redefluss stocken. Beim Spiegeln nimmt die Ärztin oder der Arzt etwas auf, was das Gegenüber gesagt hat; als Rückmeldung oder zum Benennen einer Emotion. Das Zusammenfassen hat die Funktion der Überprüfung, ob die Ärztin oder der Arzt korrekt verstanden hat, was die Betroffenen mitgeteilt haben.

NURSE-Modell: Beim Umgang mit Emotionen bietet das NURSE-Modell Unterstützung. Das Akronym beinhaltet fünf Techniken, die hilfreich sind, wenn man als Ärztin oder Arzt mit Emotionen konfrontiert ist:

  • Naming (Emotionen benennen)
  • Understanding (Verständnis für die Emotionen ausdrücken)
  • Respecting (Respekt/Anerkennung artikulieren)
  • Supporting (Unterstützung anbieten)
  • Exploring (weitere Aspekte zur Emotion herausfinden)

Das Naming entspricht dem Spiegeln bei der WWSZ-Technik und kommt zum Einsatz, wenn erkrankte Personen ihre Emotionen noch nicht selbst benannt haben. Danach geht es darum, ob die Ärztin oder der Arzt versteht, warum das Gegenüber diese Emotion hat (Understanding). Es wird Wertschätzung vermittelt für das emotionale Erleben der Betroffenen. Beim Respecting geht es um das positive Konnotieren ihrer Bemühungen. Supporting ist als Angebot gedacht, und beim Exploring geht es um das Klären der Emotionen, die unklar sind oder fehlen; d. h. wenn ärztliche Fachpersonen die emotionale Verfassung der Betroffenen nicht erfassen können oder nicht spüren.

AIDET – die gelungene Gesprächsführung: Dies bietet AIDET, um die Arzt-Patienten-Beziehung zu stärken [9]:

  • Acknowledge: Begrüssen Sie die Patientin oder den Patienten mit Namen. Halten Sie Augenkontakt, lächeln Sie, begrüssen Sie die Besuchenden.
  • Introduce: Stellen Sie sich mit Namen und Funktion vor.
  • Duration: Informieren Sie über den zeitlichen Ablauf des Gesprächs, der Untersuchung, wann Resultate zu erwarten sind, wann Sie das nächste Mal vorbeikommen werden.
  • Explanation: Informieren Sie darüber, wie es weitergeht, beantworten Sie Fragen und erklären Sie, wie man Sie kontaktieren kann (via Pflegefachperson).
  • Thank you: Bedanken Sie sich bei den Patientinnen und Patienten sowie den Besuchenden für die Auskunftsbereitschaft.

Informationen dosiert vermitteln

Es ist die Aufgabe des ärztlichen Personals, die erkrankten Personen über die Diagnose, Art, Durchführung, Ziel, Nutzen und Risiken einer Intervention zu informieren und ihr Verständnis zu überprüfen. Bei der Informationsvermittlung geht es um das Einbetten von neuen Informationen in alte, bereits vorhandene Informationen. Die Betroffenen benötigen Zeit, die Informationen zu verdauen, weshalb Pausen während des Gesprächs nötig sind.

Die Informationsübermittlung sollte strukturiert werden. Es besteht die Gefahr, dass die Patientinnen und Patienten mit der Informationsflut überlastet sind und nichts davon im Langzeitgedächtnis speichern können. Deshalb wird empfohlen, mündliche und schriftliche Informationen zu kombinieren und zu begrenzen. Um zu überprüfen, ob sie die Informationen verstanden haben, kann man «blaming myself» anwenden. Dies bedeutet z. B.: «Ich weiss nicht, ob ich den Eingriff gut erklären werde, weshalb ich froh bin, wenn Sie mir sagen könnten, was Sie verstanden haben.» Denn wie kommuniziert wird, ist genauso wichtig, wie was kommuniziert wird.

Ein Leitfaden zur oberärztlichen Tätigkeit

Der Schritt von der Assistenzzeit hin zur oberärztlichen Tätigkeit ist mit vielen neuen Aufgaben verbunden. Neben den fachlichen Kompetenzen sind auch vermehrt überfachliche Kompetenzen wie eine gute Kommunikation sowie didaktische und Führungsqualitäten gefordert. Die Artikelserie «Next Level» zeigt entsprechende Herausforderungen auf und bietet praktische Tipps und Unterstützung für die tägliche Arbeit. Die leicht angepassten und teilweise stark gekürzten Texte stammen aus dem Leitfaden «Die oberärztliche Tätigkeit – eine neue Herausforderung» und wurden vom Verlag Hogrefe sowie den jeweiligen Autorinnen und Autoren freundlicherweise für eine Zweitveröffentlichung zur Verfügung gestellt. Der gesamte Leitfaden mit den ungekürzten Texten und weiteren Themen ist beim Verlag Hogrefe oder bei der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) erhältlich.

Roten C, Perrig M (Hrsg.): Die oberärztliche Tätigkeit – eine neue Herausforderung.

Ein praktischer Leitfaden. 1. Auflage, Bern: Hogrefe Verlag, 2021.

Literatur

  1. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, Hrsg. Kommunikation im medizinischen Alltag. Ein Leitfaden für die Praxis. Bern: SAMW; 2013.
  2. Barry MJ. Shared decision making – pinnacle of patient-centered care. N Engl J Med. 2012;366 (9):780–1. https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMp1109283.
  3. Kitson A, Marshall A, Bassett K, Zeitz K. What are the core elements of patient-centred care? A narrative review and synthesis of the literature from health policy, medicine and nursing. J Adv Nurs. 2013;69:4–15. https://doi.org/10.1111/j.1365-2648.2012.06064.x.
  4. Epstein RM, Street RL. The values and value of patient-centered care. Ann Fam Med. 2011;9(2): 100–3. https://doi.org/10.1370/afm.1239.
  5. Gerber M, Kraft E, Bosshard Ch. Shared Decision Making – Arzt und Patient entscheiden gemeinsam. Schweiz Ärzteztg. 2014;95(50):1883–9.
  6. Foederatio Medicorum Helveticorum, Abteilung Daten, Demographie und Qualität (FMH/DDQ). Shared Decision Making. Die Meinung der FMH. Schweiz Ärzteztg. 2014;95(50):1890–1.
  7. Schweizerisches Bundesgericht. BGE 117 Ib 197; Aufklärungspflicht.
  8. Dwamena F, Holmes-Rovner M, Gaulden CM, Jorgenson S, Sadigh G, Sikorskii A, et al. Interventions for providers to promote a patient-centered approach in clinical consultations. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Dec 12;12:CD003267. https://doi.org/10.1002/14651858.CD003267.pub2.
  9. StuderGroup. AIDET Patient Communication. [Internet]. Pensacola, FL: StuderGroup; 2020 [cited 10.12.2020]. Available from: http://www.studergroup.com/aidet.

Weiterführende Literatur

  • Charles C, Gafni A, Whelan T. Shared decision-making in the medical encounter: What does it mean? (Or it takes at least two to tango). Soc Sci Med. 1997;44:681–92. https://doi.org/10.1016/S0277-9536(96)00221-3.
  • Duncan E, Best C, Hagen S. Shared decision making interventions for people with mental health conditions. Cochrane Database Syst Rev. 2010 Jan 20;2010(1):CD007297. https://doi.org/10.1002/14651858.CD007297.pub2.
  • Hoffmann TC, Légaré F, Simmons MB, McNamara K, McCaffery K, Trevena LJ, et al. Shared decision making: what do clinicians need to know and why should they bother? Med J Aust. 2014 Jul 7;201(1):35-9. https://doi.org/10.5694/mja14.00002.
  • Institute of Medicine (US) Committee on Quality of Health Care in America. Crossing the Quality Chasm: A New Health System for the 21st Century. Washington (DC): National Academies Press (US); 2001.
  • Joosten EA, DeFuentes-Merillas L, de Weert GH, Sensky T, van der Staak CP, de Jong CA. Systematic review of the effects of shared decision-making on patient satisfaction, treatment adherence and health status. Psychother Psychosom. 2008;77:219–26. https://doi.org/10.1159/000126073.
  • Krones T. Ethische Grundlagen der Arzt-Patienten-Beziehung. Vorlesung. Lehrgang ASAE Universität Zürich. 2013; Zürich.
  • Loh A, Simon D. Gemeinsam entscheiden – erfolgreich behandeln? Managed Care. 2007;2:6–8.
  • McMillan SS, Kendall E, Sav A, King MA, Whitty JA, Kelly F, et al. Patient-centered approaches to health care: a systematic review of randomized controlled trials. Med Care Res Rev. 2013;70(6): 567–96. https://doi.org/10.1177/1077558713496318.
  • Mead N., Bower P. Patient-centredness: a conceptual framework and review of the empirical literature. Soc Sci Med. 2000;51(7):1087–110. https://doi.org/10.1016/S0277-9536(00)00098-8.
  • Sanders AR, van Weeghel I, Vogelaar M, Verheul W, Pieters RH, de Wit NJ, et al. Effects of improved patient participation in primary care on health-related outcomes: a systematic review. Fam Pract. 2013;30:365–78. https://doi.org/10.1093/fampra/cmt014.
  • Stacey D, Légaré F, Col NF, Bennett CL, Barry MJ, Eden KB, et al. Decision aids for people facing health treatment or screening decisions. Cochrane Database Syst Rev. 2014;1:CD001431. https://doi.org/10.1002/14651858.CD001431.pub4.