• Next Level

Leadership im klinischen Alltag

Stets den Überblick bewahren, transparent kommunizieren, Aufgaben zuweisen und deren Ausführung überwachen: Für junge Oberärztinnen und -ärzte ist die neue Rolle als Führungspersönlichkeit oft ungewohnt. Einige Tipps.

Eine Führungspersönlichkeit weiss das Potenzial des Teams, seine Fähigkeiten und das vorhandene Wissen gezielt zu nutzen. Bild: Adobe Stock
Eine Führungspersönlichkeit weiss das Potenzial des Teams, seine Fähigkeiten und das vorhandene Wissen gezielt zu nutzen. Bild: Adobe Stock

Was sind meine Aufgaben als Oberärztin oder Oberarzt?

Eine grosse Herausforderung für junge Oberärztinnen und -ärzte ist die – für viele neue – Funktion der/des Vorgesetzten mit Übernahme von Verantwortung für ein ganzes Team. Dies bedeutet, zu lernen, Aufgaben zu delegieren und zu kontrollieren. Neben der Leader-Rolle übernehmen Oberärztinnen und -ärzte auch Verantwortung im Management einer Klinik sowie weitere Aufgaben wie etwa die Einsatzplanung. Weiter stellen sie in ihrem Bereich sicher, dass die Prozesse, die Ressourcen und auftauchende Probleme strukturiert evaluiert, optimiert und gelöst werden [1].

Erfolgreiche Führungspersonen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Visionen haben, Ziele definieren und diese klar kommunizieren. Sie sind in der Lage, ihr Team für die Umsetzung dieser Ziele und Visionen zu begeistern, zu motivieren und so die nötige Unterstützung zu gewinnen. Herausforderungen und Widerstände meistern sie geschickt mit Kreativität und Klarheit [1, 2, 3].

Was bedeutet Leadership?

Erwartungen und Zielvorgaben an Oberärztinnen und Oberärzte finden sich in Stellenbeschreibungen, Guidelines und Richtlinien der Klinik und in den Visionen eines Spitals. Oberärztinnen -ärzte können auch ihre Vorgesetzten direkt auf die an sie gestellten Erwartungen und die Ziele ansprechen. So können sie im Einklang mit diesen die eigene, individuelle «Richtung» und «Strategie» ihres Verantwortungsbereichs festlegen.

Auch Personen ohne definierte Leadership-Rolle können für eine konkrete Aufgabe eine Führungsrolle übernehmen. Dadurch können alle zum Erfolg einer Klinik beitragen [2, 3].

Leadership bedeutet auch, mit Veränderungen konstruktiv umzugehen. Oberärztinnen und -ärzte sind mitverantwortlich, dass Innovationen und Änderungen in einer ganzen Klinik erfolgreich implementiert werden. Es gehört zu ihren Aufgaben, regelmässig Prozesse (Eintritte, Austritte, Visiten, Besprechungen, Berichte usw.) auf Optimierung zu hinterfragen, anzupassen oder zu erneuern, damit die Abläufe durch die Verminderung von Leerläufen verbessert werden können. Mit zunehmender Erfahrung können sie Probleme besser antizipieren und dadurch frühzeitig eingreifen.

Bei anstehenden Veränderungen besteht ein Risiko, auf Widerstand zu stossen – meist aus Angst vor Einbussen und mangelnder Information über die Gründe einer Veränderung. Deshalb ist es sehr wichtig, sich bei der Implementierung von neuen Prozessen die nötige Zeit zu nehmen, um gut zu planen, wer welche Informationen wie erhalten soll. So werden Mitarbeitende bestmöglich (schriftlich/mündlich) motiviert.

Was sind die Merkmale einer Führungspersönlichkeit?

Erfolgreiche Teamleader verfügen über verschiedene Führungsstile und können diese dem Kontext anpassen. Je nach Situation und Bedürfnissen ihres Teams können sie zwischen Anweisen, Coachen, Unterstützen und Delegieren flexibel hin und her wechseln [4]. Eine Führungspersönlichkeit zeichnet sich unter anderem durch folgende Merkmale aus [5]:

Der notwendige Blick fürs Ganze: Teamleader haben die Fähigkeit, jede Situation und neu auftretende Probleme aus einer grösseren Distanz zu beurteilen: Balcony Perspective [6]. Bezogen auf Oberärztinnen und -ärzte bedeutet dies, neben der Perspektive der Arzt-Patienten-Beziehung auch stets die organisatorische, interprofessionelle Perspektive einzunehmen und die Herausforderungen auf der höheren Ebene (Klinik, Spitalebene) einzubeziehen.

Beispiel

Oberärztinnen und -ärzte besprechen Anfang Woche und jeweils morgens die Ziele und spezifischen Aufgaben des Tages und der Woche mit ihrem Team. Sie benutzen in der Formulierung bewusst «wir» statt «ich», wodurch die Assistenzärztinnen und -ärzte sich als Teil des Teams fühlen.

Prioritäten setzen und delegieren: Bewusstes Trennen zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem erleichtert es, die Komplexität des Alltags in den Griff zu kriegen. Führungspersönlichkeiten sind in der Lage, die Planung, die Entscheidung und das Erledigen von Arbeiten zu priorisieren und an die richtigen Personen zu delegieren. Oberärztinnen und -ärzte kennen ihr Team so gut, dass sie wissen, wem sie was delegieren können. Es braucht dabei klare Anweisungen, was wann wie zu erfolgen hat.

Beispiele

Die Oberärztin lässt dem Assistenten die Wahl und die Frequenz der Laborbestimmung. Der Assistent ist dadurch aufgefordert, mitzudenken, und lernt, selbst zu entscheiden. Dabei soll er seine Laboraufträge gegenüber der Oberärztin begründen. Die Entscheide werden besprochen und falls nötig korrigiert. Die Oberärztin nimmt keine eigenen Verordnungen vor, um so dem Assistenten klar seinen Verantwortungsbereich sichtbar zu machen.

Unerfahrenen Assistenzärztinnen und -ärzten werden zu Beginn ihrer klinischen Tätigkeit die meisten Therapiekonzepte vorgeschrieben. Sie sollen alle Verordnungen mit ihren Vorgesetzten vorbesprechen. Mit zunehmender Erfahrung erhalten sie immer mehr Selbstständigkeit. Bei Zeitdruck oder in Notfallsituation ist es wichtig, dass die Aufgaben klar und explizit definiert, kommuniziert und delegiert werden.

Ungenutztes Potenzial erkennen: Durch Zuhören, Beobachten und aktive Kommunikation erkennen Oberärztinnen und -ärzte das Potenzial des gesamten Betreuungsteams, seine Fähigkeiten, das vorhandene Wissen und die Erfahrung. Dies ist die Grundlage, um interdisziplinär und interprofessionell effizient arbeiten zu können.

Beispiel

Oberärztinnen und -ärzte holen die Beurteilung ihrer Mitarbeitenden aktiv ein und zeigen Interesse an der Meinung des Teams. Sie betonen die Stärken, nicht die Schwächen der Mitarbeitenden, loben und anerkennen gut gemachte Arbeiten und bedanken sich.

Mut zur Klarheit: Oberärztinnen und -ärzte sind auch mit unangenehmen Situationen konfrontiert (z. B. mit unzufriedenen Patientinnen, Patienten und Angehörigen, schwierigen Assistentinnen und Assistenten, Konflikten mit der Pflege usw.). Sie tragen die Verantwortung für das Ansprechen und Lösen dieser Situationen. Um die Zusammenarbeit und die Qualität der Arbeit aufrechterhalten zu können, ist es nötig, Probleme und Konflikte frühzeitig zu erkennen und aktiv anzugehen, auch wenn damit unangenehme Forderungen oder Fragen verbunden sein können. Hier kann es nötig sein, Durchsetzungsstärke zu zeigen, unter Wahrung der notwendigen Distanz. Schwierige Situationen mit den notwendigen Konsequenzen und Entscheidungen können mit etwas Erfahrung auf respektvolle Art angesprochen werden. Dadurch gelingt es, tragfähige Lösungen zu erarbeiten und langfristig eine positive Entwicklung zu schaffen.

Beispiele

Klare Visionen führen manchmal dazu, Nein sagen zu müssen. Dadurch erzielt man Vertrauenswürdigkeit und wird als Führungspersönlichkeit besser respektiert, als wenn man sich mit allem einverstanden erklärt.

Als Oberärztin/Oberarzt ist es sehr unangenehm, unzureichenden Assistentinnen und Assistenten negatives Feedback geben zu müssen, längerfristig ist es aber für die weitere Zusammenarbeit unabdingbar.

Wie kann ich Leadership-Skills entwickeln?

Leadership zu entwickeln, ist ein Prozess. Der erste Schritt dazu ist, sich mit der Führungsrolle und den damit verbundenen Aufgaben auseinanderzusetzen. Wer sich selbst kritisch hinterfragt, sein Verhalten analysiert und sich mit seinen Entscheidungen befasst, kann seine Fähigkeit, ein Team für seine Ziele zu motivieren und zum Ziel zu führen, verbessern. Zudem profitiert man sehr, wenn man sich gezielt in seinem Netzwerk über Führungsaufgaben und -schwierigkeiten austauscht. Um Feedback über sein Führungsverhalten zu erhalten, kann man aktiv die Meinung des Teams einholen. Dies bedingt, dass man offen für Kritik ist.

Das Lernen und das Ausführen von Führungsfunktionen gehören zusammen. So kann bereits in der Assistenzzeit vermehrt nach Gelegenheiten Ausschau gehalten werden, Leadership zu praktizieren. Solche Gelegenheiten wären z. B. das Führen einer Visite, der Unterricht von Studierenden, das Führen eines Rundtischgespräches usw. Denn Leadership-Skills entwickelt man durch regelmässiges Praktizieren, Selbstreflexion und das Einholen von Feedback.

Ein Leitfaden zur oberärztlichen Tätigkeit

Der Schritt von der Assistenzzeit hin zur oberärztlichen Tätigkeit ist mit vielen neuen Aufgaben verbunden. Neben den fachlichen Kompetenzen sind auch vermehrt überfachliche Kompetenzen wie eine gute Kommunikation sowie didaktische und Führungsqualitäten gefordert. Die Artikelserie «Next Level» zeigt entsprechende Herausforderungen auf und bietet praktische Tipps und Unterstützung für die tägliche Arbeit. Die leicht angepassten und teilweise stark gekürzten Texte stammen aus dem Leitfaden «Die oberärztliche Tätigkeit – eine neue Herausforderung» und wurden vom Verlag Hogrefe sowie den jeweiligen Autorinnen und Autoren freundlicherweise für eine Zweitveröffentlichung zur Verfügung gestellt. Der gesamte Leitfaden mit den ungekürzten Texten und weiteren Themen ist beim Verlag Hogrefe oder bei der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) erhältlich.

Literatur

  1. Blumenthal DM, Bernard K, Bohnen J, Bohmer R. Addressing the leadership gap in medicine: residents’ need for systematic leadership development training. Acad Med. 2012;87(4):513–22. https://doi.org/10.1097/ACM.0b013e31824a0c47.
  2. Collins-Nakai R. Leadership in medicine. Mcgill J Med. 2006;9(1):68–73.
  3. Hackman JR. Leading Teams. Boston: Harvard Business Review Press; 2002.
  4. Dent J, Harden RM, Hunt D, eds. A practical Guide for Medical Teachers. 5th ed. Amsterdam: Elsevier; 2017.
  5. Kälin K, Müri P. Sich und andere führen. 16. Aufl. Bad Hersfeld: Ott-Verlag; 2015.
  6. Heifetz RA. Leadership without easy answers. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press; 1998.

Weiterführende Literatur