- Forschung und Praxis
Kontrazeption bei Mädchen und Frauen mit Behinderungen
Die gynäkologische Aufklärung und Beratung wird bei Mädchen und Frauen mit Behinderungen häufig vernachlässigt, obwohl sie ein wichtiger Bestandteil der medizinischen Versorgung sein sollte. Denn die Auswahl der geeigneten Kontrazeption ist ein komplexer Prozess, der besondere Aufmerksamkeit erfordert.
10.12.2024
Zusammenfassung
In der Schweiz leben ca. 1,8 Millionen Personen mit einer Behinderung, im Erwachsenenalter ist jede sechste Person davon betroffen, eine von 20 schwer. Dennoch gibt es wenig Literatur über Sexualität und Kontrazeption bei Behinderung, kaum Fortbildungen und die Assistentinnen und Assistenten werden meist wenig geschult, die speziellen Situationen und Risiken behinderter Patientinnen zu erkennen. Der vorliegende Artikel beschreibt anhand von fünf unterschiedlichen Einzelfällen die komplexen Situationen und verschiedenen Optionen der Kontrazeptionsberatung und geht exemplarisch auf medizinische Indikationen und Kontraindikationen, auf die Frage der Hygiene und des nicht kontrazeptiven Nutzens hormoneller Therapien, aber auch ethische und rechtliche Fragen ein. Damit soll ein Beitrag zur besseren ärztlichen Versorgung von Frauen mit Beeinträchtigung geleistet werden.
Der Artikel ist ursprünglich in der «Therapeutischen Umschau» (2022), 79(10), 527–534 erschienen.
Warum verdienen Frauen mit Behinderung unsere spezielle Aufmerksamkeit? Warum braucht es einen Artikel zur Kontrazeption bei Frauen in diesen speziellen Situationen? Vieles ist gleich wie bei gesunden Frauen, aber es gibt auch ganz entscheidende Unterschiede.
Obwohl die körperliche Entwicklung oft durch die Grunderkrankung beeinträchtigt ist und medizinische Konsultationen zum Alltag betroffener Frauen gehören, fehlt es bei Fragen der sexuellen Gesundheit häufig an ärztlicher Beratung und Hilfe, vielleicht auch, weil Sexualität bei Frauen mit Behinderung immer noch oft tabuisiert ist. Gerade hier ist es dringend, Aufklärung und Beratung anzubieten und den Betroffenen, soweit möglich, eine gesunde sexuelle Entwicklung und Kontrazeption zu ermöglichen. Frauen mit Behinderung haben insgesamt weniger Zugang zur medizinischen und insbesondere gynäkologischen Vorsorge, sind weniger gut aufgeklärt, wenden weniger oft Kontrazeptiva an, haben dadurch ein erhöhtes Risiko für eine unerwünschte und unvorbereitete Schwangerschaft, erleiden häufiger sexuell übertragbare Infektionen und sind häufiger Opfer von sexueller Gewalt, Ausnützung und Missbrauch.
Anhand von fünf jungen Frauen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen werden in diesem Artikel verschiedene Fragen und Aspekte diskutiert, wobei viele wichtige Bereiche bei diesem grossen Thema nur kurz beleuchtet werden können.
Anmerkung zum Begriff «Behinderung»: Der Begriff wird verwendet, um eine Situation zu beschreiben, in der die betroffene Person durch einen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand an bestimmten Lebensaktivitäten über längere Zeit oder dauerhaft behindert wird. Da auch die Fachstelle «avanti donne», die Interessenvertretung von Frauen und Mädchen mit Behinderung, in ihrer Anschrift diesen Begriff verwendet, sehe ich diesen als bestmögliche und umfassende Umschreibung des beeinträchtigten Zustandes an.
Beispiel Alysha
Die 17-jährige Alysha lebt mit den Folgen einer Spina bifida. Sie ist ab der Lendenwirbelsäule L3 gelähmt und kann Blase und Darm nicht kontrollieren. Zusätzlich besteht eine Nierenfehlbildung. Sie hat einen peritonealen Shunt wegen des Hydrocephalus, der bereits zweimal revidiert werden musste.
Alysha hat viel Zeit in Spitälern verbracht, es wurden mehrere Rücken- und Blasenoperationen durchgeführt. Regelmässig finden Kontrollen der Nieren- und Blasenfunktion sowie neurologische und neurochirurgische Kontrollen statt. Seit vielen Jahren kommt es immer wieder zu Harnwegsinfekten, sie hat häufig Bauchschmerzen und wird immer wieder antibiotisch behandelt. Auch in den letzten Wochen ist sie wegen wiederkehrender Abdominalschmerzen mehrmals beim Hausarzt gewesen. Jetzt hat er sie nach mehreren antibiotischen Therapien wegen persistierender Zystitis zum Urologen weitergewiesen. Dieser vermutet eine Abflussstörung und veranlasst ein i. v.-Pyelogramm. Erst im Röntgenbild wird entdeckt, was die Bauchschmerzen verursacht: Alysha ist bereits im fünften Monat schwanger.
Keine Ärztin und kein Arzt kam auf die Idee, dass diese Jugendliche auch gynäkologisch betreut werden sollte. Niemand hat sich nach der Pubertätsentwicklung, nach der Menstruation oder nach Problemen mit der Blutung erkundigt. Niemand hat nachgefragt, ob sie aufgeklärt sei, ob sie verliebt ist, einen Freund hat oder wie sie verhüten möchte. Das gesamte Thema Sexualität wurde nie angesprochen, weder von Eltern, Lehrpersonen noch von ärztlicher Seite, obwohl sie so oft ärztlich untersucht und beraten wurde. Dass diese junge Frau auch als Rollstuhlfahrerin sexuelle Bedürfnisse und sexuelle Rechte hat, dass sie frühzeitig eine fachkompetente Beratung für Kontrazeption, Fruchtbarkeit und späteren Kinderwunsch braucht, daran hat keiner der betreuenden Ärzte gedacht. Durch dieses Versäumnis wurden sie und das ungeborene Kind grossen Risiken ausgesetzt. Sie konnte weder von der Folsäureprophylaxe noch von der Pränataldiagnostik profitieren, ausgerechnet sie, mit einer Spina bifida. Es fanden keine Schwangerenvorsorge, keine spezialisierte Betreuung von Teenager-Schwangeren und keine psychosoziale Begleitung statt, nicht einmal die rechtzeitige sonografische Organdiagnostik. Im Gegenteil; die junge Frau wurde unkritisch verschiedenen Medikamenten und sogar Röntgenstrahlen ausgesetzt. Sie wurde richtiggehend abgeschnitten von den Errungenschaften der modernen Medizin. Und das ist leider immer noch typisch für Frauen mit schweren Einschränkungen wie Alysha. Sexualität und Behinderung zusammen zu denken, ist auch heute noch nicht selbstverständlich. Es braucht Anstrengungen, damit Frauen mit Behinderung primär als Frauen beziehungsweise Patientinnen wahrgenommen werden und nicht als geschlechtslose «Behinderte». Wir müssen aktiv dieses Tabu durchbrechen, in unseren Köpfen und in unserer Gesellschaft.
Behinderungen der Sexualität
Frauen mit körperlicher und/oder geistiger Beeinträchtigung haben sexuelle Bedürfnisse, wie andere Frauen auch, und selbstverständlich einen kontrazeptiven Beratungsbedarf. Die sexuelle Aktivität wird aber häufig unterschätzt oder nicht wahrgenommen, mit oft schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen [1]. Die kontrazeptive Beratung bei Frauen mit Behinderung umfasst viel mehr als nur die Frage, welches Verhütungsmittel passend wäre. Es geht hier um die weibliche Entwicklung insgesamt, um die sexuelle Entwicklung, um Funktion und Anatomie der Geschlechtsorgane und um die Frage, ob und wie physische Sexualität unter den besonderen (und individuell sehr unterschiedlichen) Bedingungen physisch gelebt werden kann.
Bei einigen körperlichen Beeinträchtigungen gibt es Begleiterscheinungen, die ein erfülltes Sexualleben stark erschweren oder sogar verunmöglichen können. Dies ist besonders bei Frauen mit Mehrfachbehinderungen, mit Einschränkungen der Beweglichkeit, neurologischen Störungen der Empfindung, Paresen und Verspannungen der Fall, aber auch bei generellen Schmerzen oder Ängsten. Dies kann nur im vertrauensvollen Gespräch erfragt und die Betroffenen je nach Situation beraten werden. Bei geistiger Behinderung wird häufig von der Umgebung, von Pflegenden oder Eltern, eine sichere und möglichst lang dauernde Kontrazeption gefordert. Auch hier gilt es, in der Beratung den tatsächlichen Kontrazeptionsbedarf abzuklären und die Wünsche und Vorstellungen der Betroffenen zu erfassen [2].
Beispiel Marianne
Marianne ist eine faszinierende Persönlichkeit. Seit der ersten Begegnung als Jugendliche hat sie mich sehr beeindruckt. Inzwischen ist sie eine junge Erwachsene von 21 Jahren. Marianne wurde mit einer seltenen Hirnfehlbildung geboren. Sie ist schwer mehrfach behindert, im Rollstuhl, kann nur die Arme etwas bewegen und kaum sprechen. Durch die starke Spastik und die unwillkürlichen Bewegungen ist es ihr auch kaum möglich, Blickkontakt zu halten. Dennoch ist sie in der Lage, sich mitzuteilen und aktiv an Gesprächen teilzunehmen. Sie hat sich die moderne Technik zunutze gemacht, sie kann auf dem Computer schreiben, auch am Handy, wodurch sie mit vielen Menschen in Kontakt ist. Sie hat einen Freundeskreis und teilt ihre Gedanken gerne mit. Sie ist ein sonniger Mensch, sie lacht gerne und hat Humor. Mit etwas Geduld kann man sich in ihre Sprache hineinhören und sie verstehen.
Marianne kam zu früh in die Pubertät, wie so häufig bei Menschen mit zerebralen Störungen. Die frühe Brustentwicklung und vor allem die frühe Menstruation mit acht Jahren waren für sie belastend und hätten bei rechtzeitiger Intervention verzögert werden können. Sie suchte erstmals mit 17 Jahren eine gynäkologische Beratung auf, damals wegen der ausgeprägt asymmetrischen Brustentwicklung und der Menstruationsprobleme mit Dysmenorrhoe und Hypermenorrhoe. Jetzt hat sie einen Partner und möchte die Möglichkeiten der Verhütung besprechen.
Allgemeine Überlegungen zur Kontrazeption
Welche Methode angeboten werden kann, hängt in erster Linie von der Art der Beeinträchtigung beziehungsweise der Grunderkrankung, von den medizinischen Gegebenheiten und der Präferenz der Patientin ab. Einige allgemeine Grundsätze für die Beratung von Frauen im Rollstuhl können aufgeführt werden [3]. Unabhängig von allen medizinischen Aspekten gilt: Der Rollstuhl ist kein Verhütungsmittel!
- Thromboserisiko: Bei Frauen im Rollstuhl muss generell von einem erhöhten Thromboserisiko ausgegangen werden. Dieses ist unter anderem vom Ausmass der Immobilisation abhängig. Bei Frauen, die den Rollstuhl nur für längere Strecken verwenden und im Alltag, zum Beispiel zu Hause und bei der Arbeit, Fussgänger sind, gilt es nicht als erhöht. Als Richtschnur kann eine Mindestaktivität der Beine von vier Stunden Belastung (Gehtraining) pro Tag angesehen werden. Bei Frauen wie Marianne hingegen sind infolge der kompletten Immobilität der Beine alle östrogenhaltigen Kontrazeptiva kontraindiziert (kombinierte orale Kontrazeptiva, Patch und Ring)
- Dysmenorrhoe und Hypermenorrhoe: Eine Verbesserung der Menstruationsbeschwerden und der Blutungsstärke sollte angestrebt werden [4]. Dafür kann eine reine gestagenhaltige Verhütung gewählt werden, peroral als Implantat oder intrauterin als Hormonspirale. Auf eine kupferhaltige intrauterine Kontrazeption muss verzichtet werden, da diese sowohl Blutungsstärke als auch Dysmenorrhoe eher verschlechtern. Gerade für Frauen im Rollstuhl kann eine starke Blutung sehr störend sein, vor allem, wenn sie für die Hygiene auf Hilfe angewiesen sind. Dies spricht für eine Hormonspirale.
- Intrauterine Kontrazeption: Bei Frauen mit körperlichen Einschränkungen müssen immer die Voraussetzungen für eine intrauterine Kontrazeption mittels gynäkologischer Untersuchung und Sonografie geprüft werden. Bei Marianne liegt zwar eine normale Uterusform und -grösse vor, aber der Zugang ist sehr schwierig, da einerseits eine Beckenfehlbildung mit sehr langer Vagina besteht und die Portio dadurch schwer erreichbar ist, andererseits die Spastik der Beine eine Abduktion weitgehend verhindert. Die Einlage einer intrauterinen Kontrazeption wäre daher wohl nur in Narkose möglich. Auch muss berücksichtigt werden, dass die Cervixdilatation zur Einlage einer Hormonspirale bei Frauen mit Epilepsie einen epileptischen Krampf auslösen kann, was zum Zeitpunkt der Einlage sehr ungünstig oder auch gefährlich sein kann.
- Osteoporoserisiko: Die Immobilität und die fehlende Achsenbelastung erhöhen das Osteoporoserisiko. Bei vielen Frauen mit neurologisch bedingten Erkrankungen liegt eine Epilepsie vor, die mit erhöhter Sturzgefahr einhergeht. Zudem erhöhen verschiedene Antiepileptika das Osteoporoserisiko. Daher sollte auf die längerfristige Depot-MPA-Gabe (Dreimonatsspritze) möglichst verzichtet werden. Depot-MPA führt zu lang anhaltender sekundärer Amenorrhoe, die Zeit bis zur Wiedererlangung der Fertilität kann bis zu einem Jahr betragen. Auch daher wäre es für Marianne mit ihrem möglicherweise bald einsetzenden Kinderwunsch keine optimale Wahl.
Was möchte die Patientin?
Marianne kann ihre Wünsche, wenn auch erschwert, mitteilen, und es wird deutlich, dass ihr die Kontrolle über ihren Körper und die Verhütung sehr wichtig sind. Auch kann sie klar ausdrücken, dass sie sich durchaus eine Schwangerschaft vorstellen könnte, falls dies mit ihrem Partner möglich sein wird, vielleicht schon in ein oder zwei Jahren. Sie entscheidet sich daher für eine östrogenfreie Pille; eine langfristige Verhütung mit Einlage eines Fremdkörpers kommt aktuell für sie nicht infrage, weder das Verhütungsstäbchen noch die Hormonspirale. Sie wird ausführlich über die Notwendigkeit einer sicheren Kontrazeption beraten, und es wird die Anwendung der reinen Gestagenpille und zusätzlich das Kondom empfohlen, um die kontrazeptive Sicherheit zu erhöhen.
Präkonzeptionelle Beratung: früh beginnen
Bevor Marianne versucht, schwanger zu werden, sollte bei ihr wie bei allen Frauen mit Einschränkung eine präkonzeptionelle Beratung stattfinden [5]. Bei ihr ist die genetische Beratung sowie eine spezialärztliche Untersuchung von Lunge und Herz vorgesehen, um Chancen und Risiken einer Schwangerschaft für Mutter und Kind einzuschätzen und die junge Frau entsprechend zu beraten. Daneben sind die hochdosierte Folsäureprophylaxe und eine Stoffwechselkontrolle vorgesehen. Diese Schritte wurden mit Marianne bereits früh, bei der ersten jugendgynäkologischen Beratung, angesprochen und bei jedem Kontakt wiederholt, um die Wichtigkeit der präkonzeptionellen Beratung und Vorbereitung zu erklären. Damit ist auch eine hohe Motivation zur zuverlässigen Kontrazeption gegeben, da Marianne erst nach optimaler Vorbereitung schwanger werden möchte.
Beispiel Irène
Die 15-jährige Irène ist ein aufgewecktes, lebhaftes Mädchen mit Trisomie 21. Die Mutter hat zwei Anliegen. Einerseits leidet Irène an Dysmenorrhoe, sie kann die ersten Tage der Blutung kaum sitzen oder gehen, krümmt sich oft vor Schmerz, und die üblichen Schmerzmittel helfen wenig. Aktuell ist sie tagsüber in einer gemischten Schule, abends zu Hause. Die Unvorhersagbarkeit der Blutung ist für sie belastend, da sie dann oft die Hosen durchblutet und sich schämt. Sie kann zwar Binden anwenden, aber es wäre eine grosse Unterstützung, wenn die Blutungen berechenbar wären und sie sich so vorbereiten könnte.
Andererseits möchte sich die Mutter für die zukünftige Kontrazeption der Tochter beraten lassen. In einigen Monaten wird sie in einer geschützten Werkstatt arbeiten und damit weniger betreut sein. Die Mutter wünscht eine sichere Kontrazeption für das Mädchen, das sehr offen und vertrauensvoll auch auf Unbekannte zugeht und sich schon mehrmals verliebt hat. Irène hat Freude an Kindern, eine spätere Schwangerschaft sieht auch die Mutter nicht als absolut unmöglich, aber für die nächsten fünf Jahre bis ins Erwachsenenalter soll Irène eine Verhütung anwenden und sich möglichst frei entwickeln können. Die Mutter hat bereits mehrmals mit Irène über Liebe und Sexualität, körperliche Veränderungen, Schwangerschaft und Verhütung gesprochen. Auch in der Schule wurden diese Themen behandelt. Irène ist bis auf die Trisomie 21 gesund, sie hat keinen Herzfehler oder andere bekannte Organpathologien.
Folgende Fragen müssen geklärt werden:
- Wie kann die Dysmenorrhoe verbessert werden? Kann ein hormonelles Kontrazeptivum therapeutisch eingesetzt werden, auch ohne kontrazeptive Indikation?
- Braucht es präventiv ein Verhütungsmittel? Wann ist dies indiziert und gerechtfertigt?
- Falls ja, welches Kontrazeptivum wäre am besten geeignet?
Therapeutischer Nutzen hormoneller Kontrazeptiva
Die Menstruationsblutung an sich ist als Zeichen der normalen weiblichen Entwicklung und einer guten körperlichen Verfassung als positives Zeichen zu werten [6], sie kann aber zu erheblicher Belastung führen, die ernst genommen werden muss. In vielen Fällen kann dabei die therapeutische Wirkung einer hormonellen Kontrazeption genutzt werden. Eine entsprechende Abklärung und Beratung ist oft eine wichtige Hilfestellung.
Störungen der Menstruation sind bei Jugendlichen mit körperlichen Beeinträchtigungen häufig. Im Vordergrund stehen lange Blutungen, Hypermenorrhoe und Dysmenorrhoe. Geschätzte 10 Prozent der Mädchen benötigen eine Therapie. Bei ungenügendem Ansprechen auf Phytotherapie, Magnesiumeinnahme und Analgetika sollte eine hormonelle Therapie, meist als kombiniertes orales Kontrazeptivum, erwogen werden. Je nach Alter, Reife und sexueller Aktivität ist auch die Einlage einer Hormonspirale in Betracht zu ziehen [7].
Bei erheblicher Dysmenorrhoe muss auch an eine Endometriose gedacht werden, insbesondere bei Fehlbildungen des Genitales. In diesen Fällen muss die Therapie entsprechend der Schmerzursache erfolgen.
Je nach Ausmass der geistigen Einschränkung ist auch der Umgang mit der Menstruation für die betroffene Person ein Problem, insbesondere bei unregelmässigen, nicht voraussagbaren Blutungen und Unfähigkeit zur Handhabung von Binden oder Tampons. Gerade bei Personen mit Inkontinenz kann die Menstruation zusätzlich zur Belastung für die betroffene Frau oder auch das Pflegeteam werden, da es zur Trippel-Inkontinenz mit negativen Folgen für die Haut, mit Mazeration und Superinfektionen kommen kann [3]. Eine iatrogene Amenorrhoe durch kombinierte hormonelle Kontrazeptiva im Langzyklus oder einer Hormonspirale kann eine bedeutende Hilfe darstellen.
Häufig werden von den Betreuungspersonen zyklische Verhaltensänderungen im Sinne eines PMS beschrieben, die erhebliche Ausmasse bis zum einem PMDD (Premenstrual Dysphoric Disorder) annehmen können, mit zyklischen depressiven Veränderungen oder Selbst- und Fremdaggression [8]. Möglicherweise wird die zyklische Veränderung durch eine eingeschränkte Verständigung und das fehlende Verständnis noch verstärkt. Auch eine zyklische Verschlechterung der Grunderkrankung ist möglich [9]. Je nach Gesamtsituation und unter Berücksichtigung von Kontraindikationen kann auch hier eine kombinierte orale Kontrazeption (z. B. Drospirenon und/oder Ethinylestradiol im 24/4-Rhythmus) als Alternative zu einer antidepressiven Therapie zur Verbesserung führen.
Kardiale Situation
Wichtig bei Patientinnen mit Trisomie 21 ist, jeweils die kardiale Situation abzuklären und sich zu versichern, dass relevante Herzfehler ausgeschlossen werden können, bevor eine kombinierte hormonelle Kontrazeption gewählt wird. Bis zu 50 Prozent der Neugeborenen mit Trisomie 21 weisen einen angeborenen Herzfehler auf, am häufigsten AVSD, VSD, seltener sind Fallot’sche Tetralogie oder isolierte PDA, häufig auch in Kombination. Diese sind meist im frühen Kindesalter operiert worden, viele junge Erwachsene mit Herzfehlern beziehungsweise ihre Betreuenden sind sich aber der Bedeutung nicht bewusst und wissen zu wenig über die Risiken auch in Bezug auf Kontrazeption und Schwangerschaft [10]. Nicht selten erinnert nur noch die Narbe über dem Sternum an die durchgeführte Operation, da sich viele Patientinnen im Laufe der Transition der kardiologischen Nachkontrollen entziehen. Wichtig zu wissen: Viele angeborene Herzfehler erhöhen die Mortalität in der Schwangerschaft und sind eine absolute Kontraindikation gegen östrogenhaltige Kontrazeptiva. Mit reinem Gestagen hingegen ist man meist auf der sicheren Seite. Die Risiken der Schwangerschaft übersteigen aber die Risiken der Kontrazeption, daher ist eine frühe Besprechung kontrazeptiver Methoden unbedingt erforderlich.
Verschiedene internationale Organisationen rufen dazu auf, Mädchen und Frauen mit Herzkrankheiten und anderen Risikosituationen rechtzeitig auf die dringend indizierte Kontrazeption hinzuweisen, da bei verschiedenen Situationen die Risiken bereits in der Frühschwangerschaft ansteigen und meist im dritten Trimenon dramatisch zunehmen [11]. Die Häufigkeit von kardiovaskulären Komplikationen bei Frauen mit angeborenen Herzfehlern liegt gesamthaft bei 20 Prozent, muss aber individuell unter genauer Kenntnis des Herzfehlers, der jeweiligen Vorgeschichte und des hämodynamischen Status beurteilt werden.
Situation von Irène
Irène hat von der Mutter und in der Schule bereits einiges über die Pille gelernt und ist motiviert, diese regelmässig einzunehmen. Sie kann gut verstehen, dass sie jeden Tag eine Pille nehmen soll, damit diese gegen die Schmerzen hilft. Die regelmässige und voraussagbare Blutung ist aber ebenfalls sehr wichtig, damit Irène den Umgang mit den Hygieneprodukten gut und selbstständig lernen kann. Dies spricht gegen die Hormontherapie mit einem reinen Gestagen, da das Risiko der Zwischenblutungen darunter deutlich erhöht ist. Nach Besprechung aller Vor und Nachteile entscheiden sich Mutter und Tochter für eine kombinierte orale Kontrazeption. Zur Vereinfachung der Einnahme wird eine Pille im 24/4-Schema gewählt.
Beispiel Fatima
Fatima ist halbseitig gelähmt und wird zur Beratung bei anämisierender Hypermenorrhoe zugewiesen. Seit der Menarche ist die Blutung sehr stark, sie dauert meist acht bis neun Tage, und Fatima muss stündlich Einlage beziehungsweise Tampon wechseln. Die Hypermenorrhoe ist durch die Blutverdünnung bedingt. Fatima erlitt als Kleinkind infolge einer angeborenen Gefässerkrankung einen zerebralen Insult und ist seither halbseitig gelähmt. Obwohl sie gut im Leben zurechtkommt und vieles selbstständig machen kann, ist sie doch bei sehr vielen Kleinigkeiten auf Hilfe angewiesen, da sie weder Arm noch Hand einsetzen kann. So ist bereits das Öffnen des Hosenknopfs kaum möglich. Dementsprechend ist auch der Umgang mit der starken Menstruationsblutung ein grosses Problem für sie. Das Ziel ist also die Reduktion der Blutungsmenge. Zudem ist die 15-jährige hübsche Jugendliche sehr kontaktfreudig und offen, sie hat bereits einen Freund und möchte längerfristig ein Verhütungsmittel, auch wenn sie jetzt noch nicht sexuell aktiv ist.
Bei gesunden jungen Jugendlichen stehen zur Reduktion der Blutungsmenge verschiedene Optionen zur Verfügung [12]:
Bei milder bis mässiger Hypermenorrhoe kann der Einsatz von Tranexamsäure häufig helfen, den Blutverlust um bis zu 50 Prozent zu reduzieren. Bei der Kombination von Hypermenorrhoe und Dysmenorrhoe führt der regelmässige Einsatz eines NSAR in den ersten zwei Tagen der Menstruation neben der Analgesie auch zur Reduktion der Blutungsmenge um etwa 40 Prozent. Eine weitere Option sind kombinierte hormonelle Kontrazeptiva, womit je nach Gestagen die Blutung deutlich reduziert werden kann. Damit können oft beide Ziele erreicht werden, die Blutungsreduktion sowie die Kontrazeption. Die reinen Gestagene als orales Kontrazeptivum oder als Implantat führen häufiger zu Blutungsstörungen, können aber bei iatrogener Amenorrhoe eine gute Option darstellen. Die Depot-Injektion von MPA (Dreimonatsspritze) sollte bei Jugendlichen sehr zurückhaltend eingesetzt werden, insbesondere bei lang dauernder Anwendung. Die intrauterine hormonelle Kontrazeption ist eine sehr gute Variante zur Blutungsreduktion und Langzeit-Kontrazeption, wobei nur die grosse Hormonspirale (LNG 52 mg) für die Indikation Hypermenorrhoe vorgesehen und von der Krankenkasse übernommen wird.
Optionen für Fatima
Eine kombinierte hormonelle Therapie mit Östrogen verbietet sich bei ihr aufgrund der vaskulären Erkrankung und Hemiparese. Eine perorale Gestagengabe wäre eine Option, es müsste aber aufgrund der Aspirineinnahme mit vermehrten Blutungsstörungen gerechnet werden, die für die Jugendliche ungünstig wären. Zudem ist ein vorausgegangener zerebrovaskulärer Insult eine Kontraindikation für die Depot-Anwendung von MPA, auch auf ein Implantat sollte bei möglicher Alternative eher verzichtet werden [13]. Die beste Option erscheint daher die Einlage einer Hormonspirale mit 52 mg. Sonografisch erscheint der Uterus mit normaler Form und reifer Grösse (75 mm), allerdings ist der Hymenaleingang sehr eng, man entscheidet sich für die Einlage in Kurznarkose. Diese kann problemlos durchgeführt werden, wobei in gleicher Sitzung eine Hymenresektion bei Hymen altus durchgeführt werden muss, um die Einlage vornehmen zu können.
Längerfristig wird auch bei Fatima das Thema Schwangerschaft und Risiken besprochen werden, da bei ihrer Erkrankung die Gefahr von erneuten zerebralen Blutungen aufgrund der Gefässerkrankung besteht und in einer Schwangerschaft bedeutend zunimmt. Aktuell ist aber eine sichere Kontrazeption gewährleistet, und die Jugendliche hat Zeit, sich mit den Konsequenzen der Erkrankung für ihr weiteres Leben auseinanderzusetzen.
Beratung bei Menschen mit geistiger Behinderung: Was ist anders?
Beispiel Sandra
Sandra ist ein hübsches 16-jähriges Mädchen. Die Mutter meldet sie in der Praxis zur Kontrazeptionsberatung an und begleitet das scheue Mädchen zum ersten Termin. Bereits bei der Begrüssung fällt auf, dass Sandra den Blickkontakt meidet und kaum Antworten gibt. Dafür übernimmt es die Mutter, sämtliche Fragen zu beantworten. Beim Versuch, Sandra direkt anzusprechen und sie mit einfachen Fragen zu einer Antwort zu bewegen, wird deutlich, dass sie zwar einige Worte sprechen kann, aber nur einfache Zusammenhänge und Fragen versteht. Es braucht Zeit und Geduld, überhaupt einen Zugang zu ihr herzustellen. Die Mutter berichtet, dass erst vor zwei Jahren die Diagnose Autismus gestellt worden ist und damit ihre seit Langem beobachteten Schwierigkeiten eine Erklärung bekommen haben. Zusätzlich leidet Sandra an einer Epilepsie mit seltenen Anfällen, die keine medikamentöse Therapie erfordert, und vor kurzer Zeit wurde bei ihr, nach vielen Jahren der Unklarheit, ein seltenes genetisches Syndrom festgestellt, das die schwere geistige Einschränkung erklärt.
Offenbar ist das Mädchen auch in anderer Umgebung kaum in der Lage, sich zu artikulieren oder mitzuteilen. Auffällig ist, dass es jeder Aufforderung direkt nachkommt und die körperliche Untersuchung ohne jegliche Abwehr durchführen lässt. Auch die Ultraschalluntersuchung durch die Bauchdecke lässt Sandra problemlos durchführen. Sie zieht sich auf Aufforderung aus und legt sich auf den Untersuchungsstuhl. Man sieht bei ihr keine emotionale Reaktion, keine Ängstlichkeit oder Abwehr. Dies erscheint richtiggehend gefährlich, da sich das Mädchen offensichtlich nicht vor Grenzüberschreitungen schützen kann. Es wirkt, als kenne es kein Nein, keinen Selbstschutz. Bei der körperlichen Untersuchung zeigen sich ausgedehnte Narben an den Armen, die von Selbstverletzungen und Suizidversuchen zeugen.
Auf Nachfrage berichtet die Mutter, dass Sandra als Kind von einer engeren Bezugsperson sexuell missbraucht worden war, vermutlich über mehrere Jahre hinweg. Sprechen könne sie darüber nicht, es wurde per Zufall entdeckt. In der aktuellen Betreuungssituation ist Sandra gut geschützt, aber mit Erreichen des Erwachsenenalters wird sie in einer gemischten Wohngruppe leben und in einer geschützten Werkstatt arbeiten, wo sie nicht zu 100 Prozent beschützt werden kann. Auch ist es schwierig, einzuschätzen, was Sandra wirklich empfindet und was sie sich wünscht. Oft erscheine sie unglücklich, dann ziehe sie sich ganz zurück oder versuche, wegzulaufen. Da sie sich aber nicht orientieren könne, ist auch dies äusserst gefährlich. Sie scheint mit den sie umgebenden Personen keinen inneren Kontakt herstellen zu können. Es wird erst im Lauf der Begegnung deutlich, wie wenig sie verstehen kann, wie rasch das Fehlen der Sprache fälschlicherweise als Scheuheit interpretiert wird und wie sehr das Mädchen durch sein attraktives Äusseres überschätzt wird und gefährdet ist. Der Wunsch der Mutter, mit einer dauerhaften, sicheren Verhütungsmethode Sandra wenigstens vor einer ungewollten Schwangerschaft zu schützen, ist verständlich.
An diesem Beispiel wird deutlich, wie komplex die Kontrazeptionsberatung von Personen mit Behinderung ist. Neben den medizinischen Fragen muss eine Balance zwischen der möglichen persönlichen Freiheit auf der einen und der Schutzbedürftigkeit auf der anderen Seite gefunden und auch die rechtliche Situation einbezogen werden [14].
Zur medizinischen Situation
Über das seltene Syndrom, das bei Sandra nachgewiesen wurde, gibt es keine Literatur, die gynäkologische oder endokrine Aspekte wie Menstruation, Fertilität oder Kontrazeption berücksichtigt. Da eine unauffällige Pubertätsentwicklung, ein regelmässiger Zyklus und ein anatomisch unauffälliges inneres und äusseres Genitale vorliegen, ist von einer normalen Fertilität auszugehen. Die körperliche Verfassung von Sandra ist gut, sie hat keine bekannten Kontraindikationen gegen eine hormonelle Verhütung.
Indikation Kontrazeption
Ein aktives Interesse am anderen Geschlecht hat Sandra bisher nicht gezeigt. Ihre Möglichkeiten, Zuneigung zu zeigen, sind aber sehr eingeschränkt, auch zu den sie betreuenden Personen scheint sie keine tragfähige Beziehung aufzubauen. Da sie aber ihre eigenen Bedürfnisse nicht mitteilen kann und vor einem erneuten Übergriff geschützt werden muss, ist die Indikation für eine sichere Verhütung ab dem Moment gegeben, wo sie aus dem geschützten Rahmen austreten wird. Auch ist sie wiederholt aus der Betreuungseinrichtung weggelaufen, ohne sich in der weiteren Umgebung orientieren zu können, womit sie sich sehr gefährdet hat.
Sexueller Missbrauch, sexuelle Gewalt: ein schweres, oft ungesühntes Verbrechen!
Kinder und Jugendliche mit Einschränkungen, körperlicher, psychischer oder geistiger Art, sind besonders vulnerabel und werden häufig Opfer von sexuellen Übergriffen [15]. Als weitere Risikofaktoren gelten Abhängigkeit von körperlicher Pflege, Lernbehinderungen, eingeschränkte sprachliche Fähigkeiten und wenig soziale Unterstützung. Insbesondere Personen, die sich schwer ausdrücken können und sich damit weder wehren noch den Übergriff mitteilen können, sind besonders gefährdet.
Sexueller Missbrauch bleibt oft jahrelang unbemerkt, mit schwerwiegenden Folgen für die psychosexuelle und oft auch körperliche Entwicklung des Opfers [16]. Er kann sich in ganz unterschiedlichen, oft gynäkologischen Symptomen zeigen wie Vulvitis, Ausfluss, geniale Blutungen, Miktionsbeschwerden, sexuell übertragbare Infektionen oder gar einer Schwangerschaft. Aber auch bei nicht gynäkologischen Beschwerden wie Stuhlschmieren, Blutungen ab ano, Einnässen oder unklaren Unterbauchschmerzen muss an die Möglichkeit eines sexuellen Missbrauchs gedacht werden, ebenso bei Verhaltensauffälligkeiten wie übermässiger Ängstlichkeit, Selbstverletzungen, Essstörungen oder auch inadäquatem sexualisierten Verhalten [3]. Bei einem Verdacht sollte hier dringend eine entsprechende Abklärung vorgenommen werden.
Gerade in Abhängigkeitssituationen muss man sich vor Verschreiben einer Kontrazeption versichern, dass die betreute Person nicht sexuell ausgenützt wird [17].
Welches Kontrazeptivum soll gewählt werden?
Aus medizinischer Sicht könnte jedes Kontrazeptivum gewählt werden, aber nicht jedes ist geeignet. Hier liegen die Probleme in der Anwendung, der Compliance und dem fehlenden Verständnis.
Eine regelmässige zuverlässige Pilleneinnahme kann weder durch die Mutter noch durch das Betreuungspersonal gewährleistet werden, da sich Sandra je nach Stimmungslage auch komplett verweigert und sich tagelang zurückzieht. Die Anwendung einer transdermalen Verhütung kommt ebenfalls nicht infrage, da Sandra das Pflaster sofort wieder abkratzen würde. Noch weniger ist der Vaginalring geeignet, eine vaginale Manipulation durch eine Fremdperson sollte auf jeden Fall vermieden werden, da Sandra dies nicht verstehen kann.
Die Einlage eines Implantats, das Verhütungsstäbchen, erscheint an sich als die ideale Lösung. Die Mutter befürchtet allerdings, dass Sandra dieses im Oberarm ertasten könnte und versuchen könnte, es herauszuschieben oder herauszuschneiden. Die vielen Narben der Selbstverletzungen, die auch sehr tief gehen, lassen diese Bedenken verstehen.
Gegen die dreimonatliche Injektion des Depot-MPA (Dreimonatsspritze) spricht das jugendliche Alter des Mädchens, der äusserst schlanke Körperbau und vor allem die Notwendigkeit, alle drei Monate eine Injektion vorzunehmen, die Sandra nicht versteht und gegen die sie sich wehren wird. Als vorübergehende Möglichkeit wäre sie aber zu erwägen. Als langfristige Lösung erscheint die Einlage der kleinen, fünfjährigen Hormonspirale als die am besten geeignete Methode. Allerdings sollte diese in einer kurzen Narkose eingelegt werden, um Sandra nicht zu retraumatisieren. Eine schmerzhafte Intervention bei einem Mädchen, das den Vorgang nicht verstehen und ihm nicht aktiv zustimmen kann, muss vermieden werden.
Rechtliche Situation
Bei Menschen mit geistiger Einschränkung ist die Beratung komplex. Je schwerer die geistige Einschränkung, desto schwieriger ist es, so komplizierte Zusammenhänge wie den weiblichen Zyklus, Fruchtbarkeit, Schwangerschaft, Sexualität oder Verhütung in einfachen Worten zu erklären und zu erkennen, ob und was die Patientin versteht. In vielen Situationen gelingt dies in einem ruhigen Gespräch aber gut, falls die junge Frau schon vorgängig durch die Mutter oder die Schule auf das Gespräch vorbereitet wurde und auch sprachlich die Möglichkeit einer Verständigung besteht. Viele Institutionen arbeiten dafür mit sexualpädagogischen Fachpersonen zusammen, die auch spezialisierte Aufklärungsmaterialien zur Verfügung haben [18]. Liegt aber eine so schwere Form der geistigen Beeinträchtigung vor, dass auch von der Mutter oder den Fachpersonen kein sprachlicher oder inhaltlicher Zugang zur Patientin gefunden werden kann, muss versucht werden, gemeinsam mit der Mutter (oder einer Beiständin) die bestmögliche Entscheidung für die Patientin zu treffen [14].
Was bedeutet Urteilsfähigkeit?
Als beratende Ärztinnen und Ärzte sind wir verpflichtet, uns ein Bild der Urteilsfähigkeit einer Person zu machen. Generell gilt die Urteilsfähigkeit als gegeben. Ausnahmen davon müssen begründet sein. Ein Mensch ist urteilsfähig, wenn er in der Lage ist, vernunftgemäss zu handeln [19]. Das bedeutet einerseits, dass er fähig ist, sich einen eigenen Willen zu bilden, also über die Fähigkeit verfügt, den Sinn und Nutzen sowie die Wirkung eines bestimmten Verhaltens einsehen und abwägen zu können. Andererseits muss er in der Lage sein, nach diesem Willen zu handeln, wobei damit nicht die Handlungsfähigkeit gemeint ist, sondern die geistige Fähigkeit, die Tragweite des eigenen Handelns zu begreifen [20].
Das Gesetz schreibt vor, dass urteilsunfähige Patientinnen und Patienten so weit wie möglich in die Entscheidungsfindung einzubeziehen sind, unabhängig vom Alter. Das Respektieren der Regeln im Umgang mit Urteilsfähigkeit, Aufklärung und Einholen der Einwilligung des Patienten respektive der Patientin stellt sicher, dass deren Recht auf Selbstbestimmung gewahrt wird. Bei fehlender Urteilsfähigkeit kann der Patient oder die Patientin nicht rechtsgenügend aufgeklärt werden, sodass je nach Alter und Regelung die Eltern, der Beistand oder der Vormund als vertretungsberechtigte Person den Entscheid im bestmöglichen Patienteninteresse trifft und über die weitere Behandlung entscheiden muss.
Es gibt keine Abstufung der Urteilsfähigkeit. Sie ist entweder gegeben oder nicht. Körperliche Integrität gilt als höchstpersönliches Recht, das auch von Minderjährigen wahrgenommen werden kann. Es geht hier also nicht um eine Altersgrenze, sondern um die Urteilsfähigkeit, die vom Arzt oder der Ärztin bestimmt wird.
Fazit
Die kontrazeptive Beratung von Frauen mit Behinderungen ist sehr komplex und umfasst viele Bereiche. Neben der medizinischen Fachkenntnis sind oft auch pädagogische und psychologische Fragen zu berücksichtigen, unter Umständen auch ethische und rechtliche Entscheide zu fällen, die eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit bedingen. Ziel muss immer sein, das Grundrecht auf Sexualität und körperliche Unversehrtheit zu schützen. Das Recht auf sexuelle Integrität und sexuelle Gesundheit untersteht dem Grundrecht der persönlichen Freiheit; so steht es in der Bundesverfassung. Diese persönliche Freiheit ist auch Menschen mit Behinderung gegeben, daher ist es unsere Aufgabe, in einer ganzheitlichen Beratung die Voraussetzungen zu schaffen, dass die betroffene Person ihre Gefühle, ihre Sinnlichkeit und ihre sexuellen Bedürfnisse soweit möglich in Sicherheit leben kann. Jeder und jede kann Opfer eines sexuellen Missbrauchs werden. Für Personen mit geistiger Behinderung, eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten oder mit hohem körperlichem Unterstützungsbedarf ist das Risiko jedoch ungleich höher. Wer die Risiken kennt, kann besser vorbeugen.
Literatur
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