• Fokus: Ethik

Mit verantwortungsbewusster Forschung zu mehr Tierwohl

Tiermodelle sind in vielen Forschungsbereichen (noch) unverzichtbar. Es gibt jedoch diverse Bestrebungen, Tierversuche zu ersetzen, die Anzahl der Tiere zu reduzieren oder die Haltungsbedingungen zu verbessern. Ein Überblick.

Eine Labormaus nimmt eine mit süsser Kondensmilch gemischte Versuchssubstanz freiwillig auf. Diese sogenannte «Micropipette Guided Drug Administration» (MDA) ist ein Beispiel für eine einfache Refinement-Methode im Tierversuch.  Bild: Stephan Läuppi, MELS ZI UZH
Eine Labormaus nimmt eine mit süsser Kondensmilch gemischte Versuchssubstanz freiwillig auf. Diese sogenannte «Micropipette Guided Drug Administration» (MDA) ist ein Beispiel für eine einfache Refinement-Methode im Tierversuch. Bild: Stephan Läuppi, MELS ZI UZH

Die ethische Vertretbarkeit und die wissenschaftliche Notwendigkeit von Tierversuchen werden in der Schweiz intensiv diskutiert. Die Bevölkerung hat mehrfach über Massnahmen zur Einschränkung oder zum Verbot von Tierversuchen abgestimmt und dabei stets signalisiert, dass sie unter bestimmten Bedingungen Tierversuche als zulässig erachtet, nämlich dann,

  • wenn keine alternativen Methoden verfügbar sind;
  • wenn wichtige Ziele wie das Verständnis des menschlichen Körpers oder die Entwicklung neuer Therapien im Fokus stehen;
  • wenn die Belastungen der Tiere, die nötig sind, um das Forschungsziel zu erreichen, so gering wie möglich gehalten werden.

Diese Anforderungen sind im Schweizer Tierschutzrecht verankert und werden im Genehmigungsverfahren überprüft.

Tierversuche und das 3R-Prinzip

Das 3R-Prinzip bietet Forschenden ein bewährtes Konzept, um ihre gesetzliche und gesellschaftliche Verantwortung zu erfüllen und die Qualität der Forschung zu verbessern. Die 3R stehen für Replacement (Ersatz), Reduction (Reduzierung der Tierzahlen) und Refinement (Verbesserung der Bedingungen zur Förderung des Tierwohls). Das 3R-Prinzip beantwortet jedoch nicht die grundlegende Frage, ob es vertretbar ist, leidensfähige Tiere für menschliche Zwecke zu nutzen oder ob eine bestimmte wissenschaftliche Fragestellung wichtig genug ist, um Tierleid zu riskieren. Diese ethischen Fragen müssen gesellschaftlich diskutiert werden, wobei Forschende Fakten und Einschätzungen bereitstellen müssen.

Ein Kompetenzzentrum unterstützt und überwacht

Um das 3R-Prinzip in der Schweiz zu fördern, wurde 2018 das 3R-Kompetenzzentrum (3RCC) gegründet. Gründungsmitglieder sind elf Schweizer Hochschulen, Interpharma, das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen sowie der Schweizer Tierschutz. Das 3RCC unterstützt die Umsetzung des 3R-Prinzips, stellt Forschungsmittel bereit, überwacht den 3R-Fortschritt und bietet Informationen sowie Weiterbildungen zu 3R. An der Universität Zürich (UZH) sowie an anderen Schweizer Forschungseinrichtungen wird das 3R-Prinzip durch Aus- und Weiterbildung vermittelt. Forschende erhalten Unterstützung von Expertinnen und Experten wie der 3R-Koordinatorin und den Tierschutzbeauftragten, um das 3R-Prinzip in ihren Projekten anzuwenden. Die 3R-Koordinatorin der UZH betreut zusätzlich das Rehoming-Programm zur Vermittlung ehemaliger Labortiere an private Tierhaltende und die Vergabe des UZH-3R-Awards.

Ersatz und Reduktion

Alternativen zu Tierversuchen umfassen Simulationen und Modellierungen, die auf bekannten Daten basieren. Diese In-silico-Methoden können Tierversuche teilweise ersetzen und zur Reduzierung der Anzahl von Versuchstieren beitragen. Dazu gehört auch die Nutzung vorhandener Datensätze für das Drug-Repurposing, also die Weiterentwicklung zugelassener Medikamente zur Behandlung anderer Erkrankungen, und die Toxizitätsvorhersage neuer Substanzen.

3D-Zellkulturen als Alternative

Für viele wissenschaftliche Fragestellungen muss das Zusammenspiel verschiedener Zellen oder Organe betrachtet werden. Dafür werden häufig Tiere als Modelle verwendet. Neue Ansätze wie die Nutzung von 3D-Zellkulturen aus menschlichen Stammzellen, etwa Organoide oder Organe auf dem Chip, bieten vielversprechende Alternativen. Diese Technologien ermöglichen eine realistischere Nachbildung der menschlichen Gewebeumgebung und eröffnen neue Möglichkeiten für medizinische Forschung. Multiorgan-Chips, die verschiedene menschliche Gewebe auf einem Chip integrieren, sind hier besonders vielversprechend. Herausforderungen wie die Validierung dieser Methoden müssen jedoch noch gemeistert werden, um diese Technologien weiter als Tierversuchsalternativen zu etablieren. An einigen Schweizer Hochschulen, z.B. der UZH oder der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) werden Forschende bei der Arbeit mit induzierten pluripotenten Stammzellen für die Zellkultur durch spezialisierte Einrichtungen unterstützt.

Menschliche Plazentas statt Ratten

Neben der Forschung werden Tiere auch für die Aus- und Weiterbildung von Tier- und Humanmedizinerinnen und -medizinern sowie für Personen, die Tierversuche durchführen, eingesetzt. In der Veterinärmedizin bleibt die praktische Arbeit am Tier unverzichtbar, jedoch werden viele Fähigkeiten an der Vetsuisse-Fakultät (Bern und Zürich) zunächst an Tiersimulatoren geübt. Auch in der humanchirurgischen Ausbildung werden Tiere eingesetzt, wobei man bestrebt ist, auf Alternativen umzusteigen. So ersetzen an der UZH mittlerweile menschliche Plazentas die Nutzung von Ratten in Mikrochirurgie-Weiterbildungen.

Tiermodelle sind (noch) unverzichtbar

Trotz der Fortschritte in der Entwicklung alternativer Methoden können diese oft die Komplexität von ganzen Organismen nicht vollständig abbilden. Tiermodelle bleiben daher in vielen Bereichen (noch) unverzichtbar und werden häufig in Kombination mit alternativen Methoden eingesetzt. Daher ist es wichtig, auch weiterhin die Anzahl der eingesetzten Tiere zu reduzieren, z.B. mit optimierten Statistikverfahren und nicht invasiven bildgebenden Methoden, sowie die Entwicklung schonender Versuchsmethoden und Haltungsbedingungen voranzutreiben. Ein Beispiel für eine an der UZH entwickelte Refinement-Methode ist die «Micropipette Guided Drug Administration» für Nager. Hierbei wird die mit Verletzungsrisiko und Stress für das Tier einhergehende Zwangsfütterung (orale Gavage) durch eine Methode ersetzt, bei der Tiere freiwillig eine mit süsser Kondensmilch gemischte Versuchssubstanz aufnehmen.

Tierwohl beeinflusst menschliches Wohlbefinden

Emotionale Belastungen und Mitgefühlsmüdigkeit sind bekannte Phänomene aus der Pflege, die auch bei Personen auftreten, die Versuchstiere pflegen oder mit ihnen arbeiten. Studien zeigen, dass Job-Zufriedenheit und mentale Gesundheit sich verbessern, wenn die Tierpflegenden bzw. die Personen, die Tiere für die Forschung nutzen, einen positiven Einfluss auf das Wohlergehen der Versuchstiere nehmen können. Gute Haltungs- und Versuchsbedingungen fördern daher nicht nur das Tierwohl, sondern letztlich auch das menschliche Wohlbefinden.

Zukunftsaussichten

Die Gründung des 3RCC sowie das im Jahr 2021 lancierte Nationale Forschungsprogramm 79 «Advancing 3R  – Animals, Research and Society», mit dem der Bund die Entwicklung von 3R-Methoden mit 20 Millionen Franken fördert, zeigen die Relevanz der 3R. Um das volle Potenzial des 3R-Prinzips auszuschöpfen, muss der Status quo der sich rasch verändernden Forschungslandschaft ständig hinterfragt und die Umsetzung von 3R-Ansätzen vorangetrieben werden. Eine finanzielle Förderung wissenschaftlicher Ansätze und Technologien, die Tierversuche ersetzen und idealerweise humanrelevanter sind, wie etwa die Nutzung komplexer menschlicher Zellkulturen, sowie eine weitere Implementierung von Reduction- und Refinement-Ansätzen in Tierversuchen sind wichtige Schritte in eine Zukunft mit deutlich weniger und weniger belastenden Tierversuchen in der Schweiz.

Weiterführende Informationen zu 3R

Mehr Informationen zur Förderung des 3R-Prinzips und zu anderen 3R-Projekten in der Schweiz finden Sie auf den Websites des Schweizer 3R-Kompetenzzentrums und des Nationalen Forschungsprogramms 79 «Advancing 3R – Animals, Research and Society»:

www.swiss3rcc.org

www.nfp79.ch