• Fokus: Ethik

Wie kann ärztlicher Führungsnachwuchs betriebliche Konflikte angehen?

Ärztliche Entscheidungen berühren oft ethische Spannungsfelder, sodass innerbetriebliche Konflikte im Spital kaum vermeidbar sind. Kompetenzen in der Prävention und im Management von Konflikten können nicht nur das Betriebsklima verbessern, sondern auch die eigene Lebensqualität.

Verschiedene Handlungen, Bedürfnisse, Interessen, Wünsche, Erwartungen oder Gefühle führen im Spitalalltag unweigerlich zu Konflikten. Ein guter Umgang damit braucht Verständnis für die Interessen des Gegenübers und Geduld. Bild: ChatGPT, generiert mit KI
Verschiedene Handlungen, Bedürfnisse, Interessen, Wünsche, Erwartungen oder Gefühle führen im Spitalalltag unweigerlich zu Konflikten. Ein guter Umgang damit braucht Verständnis für die Interessen des Gegenübers und Geduld. Bild: ChatGPT, generiert mit KI

Ärztinnen und Ärzte, die erstmals eine Management- und Führungsverantwortung in Fachabteilungen übernehmen, bewegen sich bei diesen nicht medizinischen Leitungsaufgaben häufig ausserhalb ihres bisher erlernten Fachwissens. Mit grosser persönlicher Leistungsbereitschaft wollen sie die Erwartungen ihrer Vorgesetzten möglichst gut erfüllen, die Mitarbeitenden motivierend führen und eine am Wohl der Patientinnen und Patienten orientierte sowie dem eigenen Qualitätsanspruch genügende Patientenversorgung ermöglichen.

Eine Stress erzeugende Mixtur

Allerdings kann die Erledigung von Management- und Führungsaufgaben in komplexen Spitalorganisationen anstrengend sein. Insbesondere Ärztinnen und Ärzte mit wenig Managementerfahrung empfinden berufliche Konflikte häufig als eine Folge eigener Unzulänglichkeit. Möglicherweise fühlen sie sich zudem beobachtet, wenn sie die Vorgaben der ärztlichen Klinikleitung gegenüber den ihnen nachgeordneten Mitarbeitenden umsetzen wollen.

Diese Sandwichsituation, kombiniert mit dem Wunsch nach dem möglichst perfekten eigenen Handeln, sowie Zeit- und Leistungsdruck sind eine wirkungsstarke Mixtur, die dazu führt, den beruflichen Alltag und Konfliktsituationen als Stress erzeugend wahrzunehmen.

Betriebliche Konflikte als Indikator

Berufliche Konflikte sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass verschiedene Handlungen, Bedürfnisse, Interessen, Wünsche, Erwartungen oder Gefühle von zwei Menschen oder Gruppen aufeinanderprallen. Mindestens eine Seite erlebt dadurch eine Beeinträchtigung in der Weise, dass sie das eigene Bestreben durch die andere Seite negativ beeinflusst sieht.

Konfliktwissen als erster Lösungsschritt

Konflikte weisen immer eine Sachebene (worum geht es sachlich-fachlich?) und eine Beziehungsebene (wie stehen die Beteiligten zueinander?) auf. Beide Ebenen stehen häufig in Wechselwirkung zueinander. Ohne angemessenes Konfliktmanagement können sich aus einem kleinen Anlass persönliche Zerwürfnisse und eskalierende Streitigkeiten ergeben. Sehr häufig geht es dabei zwischen den Konfliktbeteiligten um emotional aufgeladene Beziehungsfragen (u. a. Gefühl der unzureichenden persönlichen Wertschätzung durch andere, Gerechtigkeitsempfinden usw.). Diese Beziehungsthemen strahlen auf die inhaltlichen Positionen und Interessen auf der Sachebene aus.

Das trifft auch häufig auf die zum Teil massiv ausgetragenen Konflikte in Spitälern zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen (Ärztinnen/Ärzte – Ökonominnen/Ökonomen; Ärztinnen/Ärzte – Pflegepersonal) zu. In solchen Fällen begegnen sich Konfliktparteien mit jeweils unterschiedlichen beruflichen Ausbildungen, verschiedenen berufsständischen Sozialisationen, Verhaltensgewohnheiten und sich ergänzenden beruflichen Aufgaben- und Verantwortungsbereichen.

Frühzeitiges Erkennen minimiert Schäden

So wie eine frühe Diagnose meist die Heilungschancen verbessert, so kann auch eine frühzeitige Konflikterkennung die Konfliktlösung erleichtern und Konfliktschäden minimieren. Im besten Fall können Führungspersonen durch gutes Konfliktmanagement verhindern, dass eine fortschreitende Konflikteskalation die Arbeitsmotivation, das Betriebsklima, die Unternehmenskultur oder -reputation oder sogar die Gesundheit von Konfliktbetroffenen beeinträchtigt.

Kommerzialisierung als Konfliktherd?

Verdeckte Konflikte sind für die Führungsperson meistens schlechter erkennbar und deshalb häufig nur mit mehr Aufwand auflösbar. Ein Beispiel: In vielen Spitälern wird den ärztlichen Führungspersonen – neben der qualitativen Verantwortung für die klinische Patientenversorgung – zumindest teilweise auch die betriebswirtschaftliche Management- und Ergebnisverantwortung für ihren Betriebsbereich und ihre Fachabteilung zugeordnet.

Diese Aufgabendualität von medizinisch-ärztlicher und ökonomischer Verantwortlichkeit führt den ärztlichen Führungsnachwuchs in das medizinethische Spannungsfeld zwischen medizinischem Qualitätsstreben (Patientenwohl), ökonomisch-unternehmerischen Zielvorgaben und ihrer eigenen Haltung (Sinnhaftigkeit der Berufsausübung).

Wie kann ärztlicher Führungsnachwuchs mit solchen und anderen konfliktträchtigen Themen konstruktiv und moralisch adäquat umgehen?

Verständnis statt Druck

Ärztliche Führungspersonen mit grosser Konfliktkompetenz sehen sich idealerweise stets als Bestandteil der (Konflikt-)Lösung und nicht als Bestandteil des Konflikt erzeugenden Problems. Wenn sie einen innerbetrieblichen Konflikt wirksam befrieden und damit auflösen wollen, können sie gut dem Impuls widerstehen, schnell reagieren respektive regieren zu wollen.

Weil sie um die Wichtigkeit der Beziehungsebene zwischen den Konfliktbeteiligten wissen, konzentrieren sie sich darauf, eine Vertrauensebene zu den Personen bzw. Gruppen aufzubauen. Für ein erfolgreiches Konfliktmanagement braucht es einen Zugang zu den Beteiligten. Dieser Zugang zum Kopf geschieht über das Herz. Bevor also über Sachverhalte und persönliche Positionen gesprochen werden kann, sollte eine gegenseitige emotionale Akzeptanz hergestellt werden. Es ist verführerisch, weil scheinbar eine einfache und schnelle Lösung, die eigene hierarchische Machtstellung zu einer druckgetriebenen Konfliktbeendigung nutzen zu wollen. Erfahrungsgemäss sind jedoch auf Verständigung und Interessenausgleich ausgerichtete Lösungsprozesse nachhaltiger als eine solche Zwangsbefriedung.

Zuhören und verstehen

Wechselseitige Akzeptanz entsteht durch gegenseitiges Verständnis. Verständnis kann sich entwickeln, wenn die Konfliktparteien die Möglichkeit erkennen, in einem durch die Führungsperson geschützten Rahmen gegenseitig ihre Sicht auf den Konflikt, ihre Beweggründe und Positionen unbeschränkt und in zivilisierter Weise erklären zu können.

So entsteht ein gemeinsames Wissen über die Konfliktsituation und allfällige Konfliktauslöser. Damit wird es möglich, gemeinsam zu erarbeiten, wofür die Konfliktbeteiligten eine Lösung wollen. Dies ist ein wichtiger Punkt im Gesamtprozess, weil hier der bisherige Konfliktverlauf des rückwärtsgewandten und Konflikt verschärfenden Austauschs wechselseitiger Vorwürfe nun übergehen kann in eine vorwärtsgewandte lösungsorientierte Konfliktbearbeitung.

Pragmatische Lösungen sind gefragt

Dieses Vorgehen ist insbesondere bei verdeckten Konflikten wichtig. Denn es erzeugt Klarheit zu vormals intransparenten Zusammenhängen und unterschiedlichen Sichtweisen. Auch können die Konfliktparteien dadurch konkrete, problematische Themenfelder festlegen, die im Rahmen des gemeinsamen Konfliktlösungsprozesses zu bearbeiten sind.

Aus diesen Themen kann die ärztliche Führungsperson zusammen mit den Konfliktparteien Interessen ableiten, indem die Konfliktparteien im gemeinsamen Meeting gefragt werden, was sie miteinander besprechen möchten. Erst wenn diese Interessen benannt sind, können Lösungen erarbeitet werden. Das «Was» kommt stets vor dem «Wie». Sind für die einzelnen Konfliktthemen breit akzeptierte Lösungen erarbeitet worden, sollten diese Lösungen dokumentiert und den Beteiligten zur Verfügung gestellt werden.

Der längere Weg zur Lösung ist schneller

Eine solche Vorgehensweise bei der innerbetrieblichen Konfliktlösung in Spitälern erscheint auf den ersten Blick relativ zeitaufwendig. Erfahrungsgemäss ist sie jedoch sehr effizient, weil die Beteiligten gut hinter der gemeinsamen Lösungsvereinbarung stehen können. Die Erfahrung eines gelingenden Konfliktlösungsprozesses stärkt oft die Verhaltenskompetenz und Lösungskompetenz der Beteiligten.

Für ärztlichen Führungsnachwuchs ist Konfliktkompetenz ein wirksames Mittel, um neue Management- und Führungsaufgaben im Spital erfolgreich, weniger stressbelastet und durch Selbstwirksamkeit motiviert zu bewältigen. Damit ist Konfliktkompetenz, gerade in der betriebshierarchischen Sandwichsituation des ärztlichen Führungsnachwuchses, stets auch eine Ermöglichung beruflicher Lebensqualität. Oder wie es der Arzt und Nobelpreisträger Albert Schweitzer einmal formulierte: «In jeder Minute, die du im Ärger verbringst, versäumst du 60 glückliche Sekunden deines Lebens.»