• Auf den Punkt gebracht

Warum brauchen Ärztinnen und Ärzte Freizeit?

Bis vor Kurzem war es ganz selbstverständlich, dass Ärztinnen und Ärzte ihre Freizeit dem Beruf opferten. Dies ändert sich langsam – und das ist gut so.

Früher war der Arztberuf nicht nur ein Beruf, er war eine Berufung. Die Ärzte (damals waren es vorwiegend Männer) arbeiteten Tag und Nacht, waren für ihre Patientinnen und Patienten immer erreichbar und kannten deren Krankengeschichte beinahe auswendig. So geht die Geschichte, die ältere Semester uns gern erzählen.

Was ist also mit der heutigen Generation der Ärzteschaft los, die plötzlich auf weniger Arbeitszeit und stattdessen mehr Vereinbarkeit pocht? Und kann man mit diesen Forderungen überhaupt noch auf gut ausgebildete Ärztinnen und Ärzte hoffen?

Ich meine ganz entschieden: Ja!

Mehr Technik, Tempo und Bürokratie

Der Arztberuf von gestern und unser Beruf heute ist nicht mehr der gleiche. Dies haben längst auch unsere Vorgängerinnen und Vorgänger realisiert. Wir verarbeiten heute eine unheimliche Dichte an Informationen, die Möglichkeiten der Diagnostik und technisch komplexer Untersuchungen scheinen schier unbegrenzt, und die Ärztinnen und Ärzte müssen scheinbar bestens informierte – und teilweise fordernde – Patientinnen und Patienten beraten. Die Verweildauer in den Spitälern ist zudem stark gesunken, der Rhythmus bzw. Turn-over entsprechend gesteigert und viel höher als vor 20 oder 30 Jahren. Dies alles erfordert ein Höchstmass an Konzentration, Flexibilität und Empathie und fordert uns stets aufs Neue. Kommen dann noch schwerfällige und undurchsichtige bürokratische Prozesse dazu, zehrt das ganz schön an den Nerven.

Freizeitaktivitäten fördern wichtige Fähigkeiten

Aber die jüngeren Generationen haben ihre Coping-Strategien entwickelt, um sich an die heutigen Anforderungen anzupassen. Die Kollegin auf der Intensivmedizin lernt beim Klettern, was es bedeutet, hartnäckig zu sein, gleichzeitig aber umsichtig und bedacht vorzugehen. Der Kollege, der Triathlon betreibt, bleibt dank seines Sports fit, gelassen und steigert seine Resilienz. Der junge Arzt, der gemeinsam mit seiner Partnerin – ebenfalls Ärztin – den Nachwuchs erzieht, lernt Empathie und Geduld. Nerven aus Stahl kommen beiden im Beruf zugute, und mit ihren Erfahrungen, die sie als junge Eltern in den Beruf mitnehmen, steigt das Verständnis für die Situationen, in denen sich ihr Patientenstamm wiederfindet. Und die Kolleginnen und Kollegen, die ihre Batterien beim Segeln auf Hochsee oder im Teamsport aufladen, bereichern mit ihrem Enthusiasmus das ganze Team.

Wir sehen: Gibt man den Ärztinnen und Ärzten die Gelegenheit zum Ausgleich, bringen sie unheimlich viele Soft Skills in den Beruf zurück. Das Risiko für ein Burn-out sinkt mit dem Mass, in dem sie Freiheit und Verantwortung erleben können. Auch steigt die Bereitschaft, bei einem Krankheitsausfall einzuspringen, wenn sie erleben, dass sich Freizeit und Familie mit dem Beruf vereinbaren lassen, dass sie dabei erworbene Fähigkeiten in die ärztliche Tätigkeit einfliessen lassen können und dass dies dort geschätzt wird.

Klar ist: Ein lieb gewordenes Arztbild verschwindet langsam aus unserem Alltag. Klar ist aber auch: Die Zukunft könnte unheimlich vielseitig und spannend werden. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass diese Zukunft möglich wird.