• Auf den Punkt gebracht

Lasst uns Windmühlen bauen!

Das Klagen über die Jugend hat Tradition. Mit etwas Geduld zeigt sich jedoch: Oft ist mehr Verständnis da, als zunächst signalisiert wurde, und viele Probleme sind generationenübergreifend – und lassen sich auch nur so lösen.

Letzthin diskutierte ich mit einem Chefarzt älteren Semesters zum gefühlt millionsten Mal über mangelnden ärztlichen Nachwuchs, Arbeitsbedingungen und die Generation Z. Ihr kennt sicherlich auch diese wiederkehrenden Argumente wie: «Früher haben wir viel mehr gearbeitet … Die heutigen Jungen sind faul … Uns waren die Patienten [bewusst nur männliche Form] wichtig … Die Jungen sollten arbeiten, anstatt sich ständig zu beklagen … usw.»

Diese Diskussionen laufen jeweils nach demselben Schema ab: Die «Jungen» sollten eigentlich dies, müssten jenes, wollen stattdessen nur das Falsche beziehungsweise weigern sich, das Richtige zu tun, lieben den Arztberuf zu wenig – nur um ein paar der gängigsten Klagepunkte zu erwähnen.

Zugegebenermassen ist es gar nicht so einfach, das Gespräch raus aus dieser Klageschlaufe zu lenken. Vielleicht liegt es daran, dass das Klagen über die Jugend Tradition hat. Beispielsweise hat sich bereits Sokrates vor bald 2500 Jahren mit ähnlichen Argumenten zu den Jungen geäussert, wie wir sie heute noch hören. Oder es ist auch bequem, vor groben Systemfehlern die Augen zu verschliessen und stattdessen mit dem Finger auf das unterste Glied der (ärztlichen) Hierarchie zu zeigen.

Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen.

Chinesisches Sprichwort

Häufig ist das Gegenüber erst für Argumente empfänglich, sobald es aus der Schlaufe geholt worden ist. Meistens lohnt es sich gar nicht, argumentativ das falsche Bild über die jungen Ärztinnen und Ärzte ändern zu wollen. Ich versuche es eher mit Tatsachen, die belegt sind, so etwa zu wenig Studienplätze, nicht besetzbare Arbeitsstellen, steigende Anzahl Berufsausstiege, Medizinstudierende, denen es bereits im Wahlstudienjahr ablöscht, Zunahme der administrativen Last und immer weniger Zeit für die eigentliche ärztliche Tätigkeit an und mit den Patientinnen und Patienten. Zum Abschluss dieses Gesprächsteils kommt dann – meiner Meinung nach – meine wichtigste Aussage: «Das sind nun mal Tatsachen, es ist so, wie es ist! Vielen erscheint nach dem Studium der Arztberuf nicht mehr attraktiv. Ob es uns nun gefällt oder nicht. Wie können wir die Bedingungen so verbessern, damit die Ärztinnen und Ärzte mehr Freude am Arbeitsalltag bekommen und nicht abspringen?»

Inspiriert hat mich dabei ein chinesisches Sprichwort: «Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen.» Häufig zeigen sich nämlich erstaunliche und erfreuliche Gesprächsentwicklungen, wenn sich nach dem Klagelied der Fokus auf die Perspektive der jungen Ärztinnen und Ärzte verschiebt. Meistens liegt eben doch mehr Verständnis vor, als zunächst signalisiert worden ist. Unter der administrativen Last leiden alle Generationen. Dass sich zudem die Erwartungen und Pflichten in Bezug auf Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert haben, kann ebenfalls nicht der Generation Z vorgeworfen werden. Ab diesem Moment werden die meisten Gespräche konstruktiv. Es wird anerkannt, dass es nicht zielführend ist, wenn sich die Ärzteschaft gegenseitig beschuldigt, und dass wir Gemeinsamkeiten und Tatsachen erkennen, benennen und Probleme anpacken müssen. Lösungen finden wir im gemeinsamen Gespräch und indem die Ärztinnen und Ärzte über die Generationen hinweg geeint auch Forderungen stellen. Nur so können die Argumente der Ärzteschaft und unsere Lösungsvorschläge auch ausserhalb unserer sich wiederholenden «Klagerunden» wahrgenommen und Veränderungen erreicht werden.

Nur gemeinsam können wir Mauern abreissen, Windmühlen bauen und vieles ändern!