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Wie Multisource-Feedback die ärztliche Weiterbildung stärken kann

Breit abgestütztes Feedback hilft Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung, ihre Stärken und Schwächen auf verschiedenen Ebenen zu erkennen. Doch damit nicht genug. Denn das sogenannte Multisource-Feedback hat auch das Potenzial, die Zusammenarbeit im gesamten Team zu verbessern.

Um ein realitätsgetreues Bild davon zu erhalten, wo Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung bereits gut arbeiten und wo noch Verbesserungen nötig sind, braucht es Feedbacks von verschiedenen Personen. Bild: Adobe Stock / YummyBuum
Um ein realitätsgetreues Bild davon zu erhalten, wo Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung bereits gut arbeiten und wo noch Verbesserungen nötig sind, braucht es Feedbacks von verschiedenen Personen. Bild: Adobe Stock / YummyBuum

Multisource-Feedback (MSF) kann zur Unterstützung der ärztlichen Weiterbildung verwendet werden. Es gehört wie die Mini-CEX (Mini Clinical Evaluation Exercise), die DOPS (Direct Observation of Procedural Skills) und die Assessments von EPAs (Entrustable Professional Activities) zur Gruppe der sogenannten «formativen Assessments»; es soll also das Lernen fördern, indem Feedback gegeben wird [1]. Im Gegensatz zu anderen Feedbacksituationen werden beim MSF Beobachtungen aus mehreren Perspektiven über einen längeren Zeitraum gesammelt. So werden neben den Vorgesetzten auch Peers sowie Kolleginnen und Kollegen anderer Berufsgruppen um ihre Einschätzung gebeten. Die Realität der ärztlichen Tätigkeiten, die oft in komplexen Zusammenhängen und interprofessionell ablaufen, kann hiermit gut gespiegelt werden.

Anonymes Feedback mit strukturierten Beurteilungsbögen

Diejenigen, die Feedback geben, nutzen hierfür strukturierte Beurteilungsbögen. Ein Bogen in deutscher Sprache, der sich an den CANMEDS-Rollen und am spezifischen Kontext der Weiterbildung in der Schweiz orientiert, ist der frei verfügbare MSF-RG [2]. Derzeit gibt es noch keine französisch- oder italienischsprachige Version dieses Bogens. Für einen Einsatz in der Westschweiz oder im Tessin sollte zusätzlich zur Übersetzung auch eine Prüfung der Validität im jeweiligen Kontext stattfinden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Inhalte übertragbar sind.
Durch die längere Zeit der Beobachtung und die Anonymität erfolgt das Feedback nicht zeitnah und direkt, sondern wird von einer Supervisionsperson gesammelt und in einem Supervisionsgespräch vermittelt.

Schritt für Schritt zum umfassenden Feedback

Wie läuft nun ein solches Feedback ab? Nehmen wir als Beispiel Herrn Müller. Er ist Arzt im ersten Weiterbildungsjahr und bekommt im Rahmen seiner Weiterbildung zweimal jährlich ein MSF.

  1. Aus einem Pool von geschulten freiwilligen Feedbackgebenden darf er selbst nach festgelegtem Mischungsverhältnis Personen auswählen. Dies sind zum Beispiel Oberärztinnen und -ärzte, Peers, ärztliche Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachgebieten, Pflegefachkräfte von Station, Ambulanz und/oder OP. Je nach Fachgebiet, in dem Herr Müller tätig ist, können weitere Berufsgruppen einbezogen werden. Wichtig ist die Zusammenarbeit im Alltag, auf der das Feedback basiert.
  2. Die ausgewählten Personen bekommen per Link oder App Zugang zum Fragebogen, mit dem sie Herrn Müller bewerten. Das Ausfüllen dauert etwa 10 bis 15 Minuten und ist für sie freiwillig. Fragen zu Aktivitäten, bei denen keine Zusammenarbeit bestanden hat, werden einfach übersprungen.
  3. Herr Müller selbst füllt einen ebenso strukturierten Fragebogen zur Selbsteinschätzung aus.
  4. Die Supervisionsperson sammelt alle ausgefüllten Fragebögen inklusive Selbsteinschätzung und nutzt diese, um die Weiterbildung von Herrn Müller zu reflektieren. Sie prüft, welche Kommentare wesentlich für das Gespräch sind. Im Gespräch achtet sie darauf, dass alle Kommentare anonym bleiben. Die Supervisorinnen und -visoren werden zu Beginn des Projekts geschult und lernen, worauf beim Gespräch zu achten ist, wie man Feedback geben kann und wie man gemeinsam Lernziele formuliert. Diese Lernziele werden am Ende des Gesprächs schriftlich festgehalten.
  5. Herr Müller nimmt seine Ziele mit und kann weiter daran arbeiten. Eine zusätzliche Beratung mit einem Peer kann hilfreich sein, um die besprochenen Inhalte zu reflektieren.
  6. Einige Monate später findet die nächste Runde MSF statt. Zum Gespräch mit der Supervisionsperson werden die bisherigen Bewertungen und Ziele hinzugenommen, um Veränderungen besprechen zu können.

Voraussetzungen: motivierte Personen und etwas Zeit

Um diese Form des Feedbacks zu implementieren, müssen die für die Weiterbildung verantwortlichen Personen und alle Beteiligten motiviert sein, MSF in die Weiterbildung einzubeziehen. Je nach Standort kann eine Kooperation mit der Personalabteilung sinnvoll sein.
Es empfiehlt sich, eine Pilotphase mit einer kleinen Zahl an Teilnehmenden durchzuführen, um anschliessend die Abläufe so anzupassen, wie sie im jeweiligen Setting am besten funktionieren. Eine Person vor Ort muss die Koordination übernehmen, was gerade zu Beginn ein Aufwand ist, der nicht nebenbei betrieben werden kann. Der technische Aufwand der Organisation lässt sich mit geeigneter Software, zum Beispiel einer App, enorm verringern.

Ein Aufwand, der sich lohnt

Zwar bedeutet MSF eine aufwendige Organisation und Datensammlung. Die Vorteile dieser Feedbackform überwiegen jedoch: Das Sammeln vieler Beobachtungen aus mehreren Perspektiven trägt dazu bei, ein Gesamtbild der Kompetenzen der weiterzubildenden Person zu erhalten. Entscheidungen im Verlauf der Weiterbildung werden damit auf eine breite Basis gestellt, und die Weiterbildungsverantwortlichen haben die Möglichkeit, den Werdegang der einzelnen Weiterzubildenden engmaschig zu beobachten und individuell zu fördern. Damit ist MSF sehr gut geeignet, die kompetenzbasierte Weiterbildung zu unterstützen [3]. Da die Feedbackgebenden selbst gewählt werden können, ist die Akzeptanz der Rückmeldungen häufig hoch und hilft den Weiterzubildenden, an Stärken und Schwächen zu arbeiten, die sie allein nicht beobachten könnten.
Ein weiterer Vorteil ist die Integration des Feedbacks in die Zusammenarbeit im Team. Im besten Fall trägt MSF dazu bei, die Feedbackkultur der Abteilung zu verbessern sowie das Teamgefühl und die gemeinsame Verantwortung für die Weiterbildung zu stärken [4].
Die veränderten Bedingungen im Gesundheitswesen erfordern eine Reform der ärztlichen Weiterbildung. Das Schweizerische Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung hat diese bereits in Gang gesetzt. Neben einem Wandel von einer zeitbasierten zu einer kompetenzbasierten Ausbildung soll sich auch die «Kultur» ändern. Lehre soll nicht nur Beiwerk der Patientenversorgung sein, sondern einen eigenen Stellenwert haben und so verändert werden, dass alle Weiterzubildenden besser auf ihrem Weg begleitet werden können. Ein Ziel, zu dem auch MSF beitragen kann [5].

Literatur

  1. Norcini J, Burch V. Workplace-based assessment as an educational tool: AMEE Guide No. 31. Medical Teacher. 2007 Jan 1;29(9–10):855–71.
  2. Hennel EK, Subotic U, Berendonk C, Stricker D, Harendza S, Huwendiek S. A german-language competency-based multisource feedback instrument for residents: development and validity evidence. BMC Med Educ. 2020 Oct 12;20(1):357.
  3. Hennel EK, Lörwald A, Huwendiek S. Multisource-Feedback in der ärztlichen Weiterbildung. Schweizerische Ärztezeitung. 2022 Sep 7;103(36):33–5.
  4. Hennel EK, Trachsel A, Subotic U, Lörwald AC, Harendza S, Huwendiek S. How does multisource feedback influence residency training? A qualitative case study. Medical Education. 2022;56(6):660–9.
  5. Brodmann Maeder M. Klimawandel in der ärztlichen Weiterbildung. 2024 Sep 25;39–40:3–4.