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Assistenzärztinnen stärken, fördern und halten

Etwa 60 Prozent der Abschlüsse in der Humanmedizin gehen an Frauen. Dieser Anteil sinkt aber mit jeder Hierarchiestufe. Das Programm «Aiming Higher – Karriereentwicklung für Assistenzärztinnen» soll dazu beitragen, Frauen langfristig und auch in höheren Positionen in der Medizin zu halten und damit die Qualität unseres Gesundheitssystems zu sichern.

Weibliche Führungspersonen sind im medizinischen Kontext deutlich in der Minderheit – und dies, obwohl mehr Frauen als Männer ein Medizinstudium abschliessen. Das Programm «Aiming Higher – Karriereentwicklung für Assistenzärztinnen» unterstützt diese dabei, sich auf eine Karriere in einer Führungsposition vorzubereiten. Bild: iStock
Weibliche Führungspersonen sind im medizinischen Kontext deutlich in der Minderheit – und dies, obwohl mehr Frauen als Männer ein Medizinstudium abschliessen. Das Programm «Aiming Higher – Karriereentwicklung für Assistenzärztinnen» unterstützt diese dabei, sich auf eine Karriere in einer Führungsposition vorzubereiten. Bild: iStock

Gemäss einer Studie des Kompetenzzentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (CHESS) [1] waren 2023 57 Prozent der Assistenzärztinnen und -ärzte Frauen, 43 Prozent Männer. Auf Oberarztstufe beträgt der Frauenanteil mit 54 Prozent bereits etwas weniger. Dennoch scheint es bis hierher den meisten Spitälern zu gelingen, die Frauen zu halten. Doch dann öffnet sich die Schere drastisch: Bei den leitenden Ärztinnen und Ärzten haben wir gerade noch 27 Prozent Frauen, und bei Klinikleitungen sind es noch 19 Prozent. In den Chefarztpositionen finden wir 2023 gemäss FMH noch 18 Prozent Frauen [2].

Warum ein Programm?

Diesem Verlust an Talenten und damit auch an Exzellenz in der Medizin versucht das Programm «Aiming Higher – Karriereentwicklung für Assistenzärztinnen» etwas entgegenzusetzen. Viele junge Ärztinnen haben uns in zahlreichen Gesprächen erzählt, dass ihnen Vorbilder und neue Modelle in Bezug auf die Karriereplanung und Vereinbarkeit fehlen. Kaum eine Chirurgin weiss, dass es beispielsweise im Bürgerspital Solothurn seit mehr als zehn Jahren zwei stellvertretende Chefärztinnen in der Chirurgie gibt, die beide 80 Prozent arbeiten. Daher haben wir gemeinsam mit Partnerspitälern ein Programm entwickelt, das Assistenzärztinnen frühzeitig für die verschiedenen Karrieremöglichkeiten sowie die Bedeutung der Forschung in (Uni-)Spitälern sensibilisieren soll. Das Programm verfolgt neben der Stärkung zahlreicher Sozialkompetenzen auch den frühzeitigen Aufbau des eigenen Netzwerks. Die Teilnehmerinnen vernetzen sich nicht nur untereinander, sondern auch mit den zahlreichen Role Models und Dozierenden sowie mit ihren Mentorinnen und Mentoren.

Was zeichnet das Programm aus?

Das knapp einjährige Programm bietet Teilnehmerinnen die Möglichkeit, sich konkret mit Fragen zur eigenen Karriereplanung auseinanderzusetzen und gleichzeitig persönliche Kompetenzen – z. B. Verhandeln oder den Umgang mit schwierigen Situationen – zu stärken. In kompakten Online-Trainings, Workshops vor Ort und interaktiven online Live-Events lernen die Teilnehmerinnen verschiedene ärztliche Karrierewege und wichtige Aspekte der Karriereplanung kennen. Ein besonderer Fokus des Programms liegt auf der Stärkung von Resilienz sowie von Sozialkompetenzen, die das Führungspotenzial ausbauen und zu einer positiven interprofessionellen Zusammenarbeit im herausfordernden Berufsalltag beitragen. Während des gesamten Programms kommen zahlreiche inspirierende Role Models zu Wort, die über ihren eigenen Werdegang erzählen und wertvolle Tipps und Erkenntnisse weitergeben. Jede Teilnehmerin profitiert zusätzlich von einer Mentorin oder einem Mentor, um den Wissens- und Erfahrungsaustausch zu vertiefen.

Vorteile für Teilnehmerinnen und Partnerspitäler

Gemäss Rückmeldungen schätzen die Absolventinnen, dass das Programm gut mit der Weiterbildungszeit vereinbar ist und es ihnen doch erlaubt, in die zukünftige Karriereplanung zu investieren. Schliesslich ist ein guter Plan die beste Basis für kluge Improvisation. Der Zeitaufwand ist überschaubar, weil Teile im Selbststudium erarbeitet werden können und doch genügend Zeit fürs Netzwerken und den persönlichen Austausch vorhanden ist. Viele sind sich zwar der Herausforderungen als Frau in einem bisher von Männern dominierten, stark hierarchischen Umfeld bewusst, verfügen aber noch nicht über das notwendige Repertoire an Interventionen, um erfolgreich damit umzugehen. Genau das lernen sie in diesem Programm. Zudem bauen sie – quasi nebenher – ein starkes Netzwerk auf, das sie in der weiteren Karriere tragen wird.

Ein sehr geschätzter Effekt ist auch die Vervielfältigung möglicher Karrierewege: «Im Programm wurde mir bewusst, dass eine Karriere an einem Spital zunehmend auch mit einer Familie vereinbar ist. Für mich war das Programm ein Augenöffner für Themen, die man im Studium oder in den ersten Jahren als Assistenzärztin nicht lernt», sagte eine Teilnehmerin. Da am Programm sehr engagierte und ambitionierte Assistenzärztinnen teilnehmen, die von den Partnerspitälern ausgewählt werden, entsteht jeweils eine im positiven Sinne sehr inspirierende und empowernde Gruppendynamik.

Auch für die beteiligten Partnerspitäler hat das Programm einen grossen Mehrwert. Sie können die Assistenzärztinnen bereits von Beginn ihrer Karriere an fördern und sie begleiten, sodass diese ihren Karriereweg gehen können und dem Spital lange erhalten bleiben. So können sich die Partnerspitäler ausserdem als attraktive Arbeitgebende positionieren.

Welche Veränderungen sind zusätzlich nötig?

Die Rekrutierung von ausländischen Ärztinnen und Ärzten ist ethisch bedenklich und lässt sich nicht unendlich ausweiten (z. B. aufgrund von Sprachbarrieren). Es kann nicht sein, dass die Schweiz als eines der reichsten Länder der Welt nicht in der Lage ist, genügend medizinisches Personal auszubilden, im Beruf zu halten oder nach einem temporären Ausstieg wieder zu reintegrieren. Dazu wird es aber auch notwendig sein, dass sich die Arbeitskulturen in den Spitälern in Richtung einer gesunden, inklusiven Führung weiterentwickeln und die Weiterbildungsstätten umfassender zertifiziert werden. So wäre es beispielsweise wichtig, dass die Weiterbildenden neben den fachlichen Qualifikationen auch entsprechende Führungsqualifikationen haben.

Der ärztliche Beruf stellt ein erhöhtes Burn-out-Risiko dar. Über 50 Prozent der Ärztinnen und Ärzte leiden im Verlauf ihrer Karriere an Burn-out, ein Drittel leidet an Depressionen [3]. Das führt nicht nur zu einer schlechten Gesundheit bei der Ärzteschaft, sondern zieht eine schlechtere Behandlungsqualität und eine erhöhte Berufsausstiegsrate mit sich. Alles Auswirkungen, welche die Qualität unseres Gesundheitssystems verschlechtern. Das wollen wir alle gemeinsam verhindern, und dazu möchte das Programm «Aiming Higher – Karriereentwicklung für Assistenzärztinnen» einen Beitrag leisten.

Partnerspitäler unterstützen Assistenzärztinnen finanziell

Für das Programm «Aiming Higher» können sich alle Assistenzärztinnen in der Schweiz ab dem zweiten Assistenzjahr bewerben, die motiviert sind, ihre Karriere aktiv zu gestalten und eine leitende Funktion oder eine akademische Laufbahn in Betracht ziehen. Sind Sie interessiert? Falls Ihr Spital ein Partnerspital von «Aiming Higher» ist, können Sie sich intern um einen Weiterbildungsplatz bewerben. Partnerspitäler übernehmen bis zu 75 Prozent der Weiterbildungskosten von 5000 Franken.

Ist Ihr Spital nicht dabei? Dann fragen Sie bei Ihren Vorgesetzten nach, ob Ihr Spital einen Teil der Kosten übernimmt oder eine Partnerschaft mit «Aiming Higher» eingehen und so Assistenzärztinnen fördern möchte.

Website: Aiming Higher  Karriereentwicklung für Assistenzärztinnen

Weitere Auskünfte: assistenzaerztinnen@unisg.ch, Tel. +41 71 224 75 85

Literatur

  1. CHESS – Center for higher education and science studies / Kompetenzzentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung «Diversity among junior academic staff in medicine (Divmed)» (2023).
  2. FMH (Schweizerische Ärztegesellschaft). (2024). FMH-Ärztestatistik Schweiz 2023: Zahlen und Analysen. FMH. Abgerufen von FMH-Ärztestatistik | FMH.
  3. Mata, D. A., Ramos, M. A., Bansal, N., Khan, R., Guille, C., Di Angelantonio, E., & Sen, S. (2015). Prevalence of Depression and Depressive Symptoms Among Resident Physicians: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA, 314(22), 2373. https://doi.org/10.1001/jama.2015.15845.