- Weiterbildung
Und es geht doch
Der vsao hat dem Interdisziplinären Notfallzentrum des Kantonsspitals Baden die Spitalrose 2023 verliehen, weil es ein ausserordentlich gutes Weiter- und Fortbildungsangebot bereitstellt. Anlässlich der Übergabe haben die Verantwortlichen ihr Erfolgsrezept verraten.
20.08.2024
Weiterbildung in den Spitalalltag zu integrieren, ist nicht einfach. Dies zumindest lässt die letzte Umfrage unter den vsao-Mitgliedern vermuten: Nur gerade 21 Prozent der Assistenzärztinnen und -ärzte geben an, dass sie die vier Stunden strukturierte Weiterbildung pro Woche erhalten, die das Schweizerische Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF) vorgibt. Auf Notfallstationen erschweren der 24-Stunden-Schichtbetrieb sowie die nicht planbaren Einsätze eine Umsetzung der SIWF-Anforderungen zusätzlich. Dass dies dennoch gelingen kann, zeigt das Beispiel des Interdisziplinären Notfallzentrums (INZ) des Kantonsspitals Baden (KSB), das seit Jahren gezielt in die Weiter- und Fortbildung investiert. Für dieses Engagement hat der vsao dem INZ die Spitalrose 2023 (siehe Kasten) verliehen.
Ein Vorzeigemodell
«In Zeiten von Fachkräftemangel und finanziellem Druck, der auf vielen Spitälern lastet, kommt die Weiter- und Fortbildung oft zu kurz», sagte vsao-Präsident Angelo Barrile anlässlich der Übergabe der Spitalrose. Jene sei jedoch enorm wichtig, um eine qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung langfristig sichern zu können. «Mit seinem Weiter- und Fortbildungsangebot, das weit über das geforderte Minimum hinausgeht, ist das INZ vorbildlich – und hoffentlich auch eine Inspiration für andere», so Barrile.
Wir sind dazu verpflichtet, Weiterbildung anzubieten. Also müssen wir auch sicherstellen, dass sie besucht wird.
Fokussiert dank ganzen Tagen
Doch wie genau funktioniert die Weiter- und Fortbildung am INZ? Und was macht das INZ anders als andere Kliniken? «Wir sind dazu verpflichtet, Weiterbildung anzubieten. Also – so unser Grundsatz – müssen wir auch sicherstellen, dass sie besucht wird», sagte Markus Schwendinger, Direktor und Chefarzt Departement INZ. Konkret sieht das so aus: Ein Dreierteam, bestehend aus Renzo Zehnder, Leitender Arzt INZ, Susanne Frei, stv. Leitende Ärztin INZ, sowie Fabian Hartmann, ebenfalls stv. Leitender Arzt INZ, ist für die Organisation der Weiter- und Fortbildung zuständig. Diese beginnt bei der Dienstplanung: Die drei- bis viermal pro Monat stattfindenden internen Weiterbildungstage für Assistenzärztinnen und -ärzte sowie die zwei internen Fortbildungstage für Kaderärztinnen und -ärzte werden direkt in den Dienstplan eingetragen. Damit ist die Teilnahme an der Weiterbildung obligatorisch und – was noch viel wichtiger ist – die Teilnehmenden sind ungestört und aufnahmefähig. Früher habe es am INZ jeweils eine morgendliche Weiterbildungsstunde gegeben, später dann eine zweistündige Weiterbildung vor dem Spätdienst, sagt Fabian Hartmann. Weder das eine noch das andere habe funktioniert. «Auf dem Notfall ist es kaum möglich, sich eine freie Stunde einzuplanen. Und zwei Stunden Weiterbildung vor einer zehnstündigen Schicht ist extrem hart.» Diese Erkenntnis führte zur jetzigen Lösung: «Wir nehmen die Leute tageweise raus.»
Kleine Gruppen und interaktive Beiträge
Pro Jahr kommen die Assistenzärztinnen und -ärzte so auf vier bis sechs interne Weiterbildungstage. Diese finden in kleinen Gruppen statt und sind interaktiv gestaltet. Neben den Beiträgen der Kaderärztinnen und -ärzte – deren Vertretung ist ebenfalls im Dienstplan geregelt, sodass sie ungestört weiterbilden können – müssen auch die Assistentinnen und Assistenten einen kurzen Vortrag vorbereiten. So setzen sie sich nicht nur mit medizinischen Inhalten auseinander, sondern üben auch zu präsentieren.
Klare Rollenverteilung
Ebenfalls intern organisiert werden wochentags 15-minütige Weiterbildungselemente beim Schichtwechsel um 15 Uhr. «Um diese Zeit sind am meisten Leute da und für eine Viertelstunde kann man sich auch auf der Notfallstation oft freischaufeln», sagt Susanne Frei. So seien diese Weiterbildungselemente denn auch meist gut besucht – oft nähmen sogar Leute aus dem Kader daran teil. Zwar werden die Themen dabei meist eher spontan bestimmt, dennoch ist auch hier die Planung essenziell. «Im normalen Schichtbetrieb kann es sehr stressig sein, diese kurze Schulung vorzubereiten. Darunter kann dann auch die Qualität leiden», so Susanne Frei. Im INZ sind deshalb die Rollen klar verteilt: Jeden Tag ist jemand Tagesmanagerin oder Tagesmanager. Diese Person koordiniert unter anderem die eingehenden Telefonanrufe und hat in der Regel auch genügend Zeit, um diese kurze Schulung adäquat vorzubereiten.
Dies ist jedoch noch nicht alles: Nebst den internen Kursen dürfen alle Ärztinnen und Ärzte des INZ jährlich zehn externe Weiter- bzw. Fortbildungstage besuchen, ebenfalls bietet das KSB diesbezüglich eine grosszügige finanzielle Unterstützung.
Lobende Worte von Mitarbeitenden
Dass dies nicht nur in der Theorie gut klingt, sondern auch in der Praxis hervorragend funktioniert, bestätigt Assistenzarztvertreter Tolga Pala. An anderen Arbeitsorten habe ihm oft die Zeit gefehlt, um die Weiterbildungsangebote zu besuchen, und wenn doch, habe oft das Telefon geklingelt. Die Weiterbildungstage am INZ hingegen sähen ganz anders aus: «Niemand telefoniert, niemand schreibt Verordnungen, niemand führt Angehörigengespräche. Wir können uns voll auf den Kurs fokussieren.» Auch inhaltlich findet Tolga Pala nur lobende Worte. «Ich bin ein kritischer Mensch, aber ich muss sagen, dass die Weiterbildungen prägnant und praxisrelevant sind.» Und schliesslich schätzt Tolga Pala auch das Zwischenmenschliche. «Ich fühle mich gehört. Und dass die Verantwortlichen meist wissen, welche Personen in welchen Kursen waren und uns entsprechend einteilen, zeugt für mich von einem grossen Interesse an uns.»
Kosten und Ertrag
So schön dies alles klingt, klar ist: Ganz kostenlos ist es nicht. Pro Jahr investiere das INZ ungefähr eine Assistenz- und eine Oberarztstelle in die Weiter- und Fortbildung, sagt Markus Schwendinger. Doch es komme auch viel zurück, betont er. So sei das INZ – auch dank der hervorragenden Ergebnisse bei den SIWF-Umfragen – als gute Weiterbildungsstätte bekannt. «Der Fachkräftemangel tangiert uns bislang kaum: Wir können immer auswählen und sehr gute Leute rekrutieren.» Dies sowie die fundierte Weiter- und Fortbildung im eigenen Haus sorge für mehr Selbstständigkeit und Effizienz im Spitalalltag. Und schliesslich sei auch die hohe Motivation der Mitarbeitenden ein grosser Pluspunkt: «Die Arbeit bei uns ist hart, die Pace ist hoch. Aber die Mitarbeitenden kommen gerne, weil sie auch etwas zurückbekommen.»
Spitalrose als Ansporn
Dass die Bemühungen des INZ wahrgenommen werden, freue ihn sehr, betonte Markus Schwendinger. Er will die Auszeichnung mit der Spitalrose jedoch nicht als Anlass nehmen, um sich auf den Lorbeeren auszuruhen, sondern vielmehr als Ansporn, um die Arbeit des INZ fortzuführen. «Etwas aufzubauen ist einfach», sagt Schwendinger. «Die grosse Herausforderung ist jedoch, das hohe Niveau zu halten und das Angebot weiterzuentwickeln.»
Eine Rose für gezielte Verbesserungsmassnahmen
Seit 2013 zeichnet der vsao mit der Spitalrose jedes Jahr ein Spital oder eine Klinik aus, welche die Situation der Ärztinnen und Ärzte mit gezielten Massnahmen verbessert. Jedes Jahr wird der Fokus auf ein bestimmtes Thema gelegt. Für die Spitalrose 2023 konnten die Sektionen Spitäler und Kliniken nominieren, die sich besonders im Bereich der Bürokratiereduktion und/oder Digitalisierung oder im Bereich der ärztlichen Weiterbildung hervorgetan haben.