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Behandlungsfehler: Wann sind Ärztinnen und Ärzte haftbar?

Ein Patient wurde im Spital, in dem ich als Assistenzarzt arbeite, aufgenommen. Bei der Behandlung sind Fehler passiert, und der Patient hat einen Schaden erlitten. Auf Bitte des Chefarztes war ich an dieser Behandlung beteiligt. Ich habe im Nachhinein erfahren, dass der Patient ein Privatpatient des Chefarztes war. Bin ich verantwortlich? Was riskiere ich? Muss ich mit einem Prozess rechnen?

Bei der Ausübung der medizinischen Kunst können Ärztinnen und Ärzte kein Ergebnis garantieren. Sie sind aber an die Sorgfaltspflicht gebunden. Das Ausmass der gebotenen Sorgfalt wird bestimmt durch die Besonderheiten des jeweiligen Falles, das heisst durch

  • die Art des Eingriffs oder der Behandlung und der Risiken, die damit einhergehen,
  • den Ermessensspielraum,
  • die verfügbare Zeit und die verfügbaren Mittel,
  • die Weiterbildung und die Fähigkeiten der Ärztin/des Arztes.

Wann haften Ärztinnen und Ärzte?

Zusammengefasst haften Ärztinnen und Ärzte – sei es als Assistenz-, (stv.) Ober-, Chef- oder Belegärztin oder -arzt – in den folgenden Fällen:

  • Wenn sie nicht mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt und die Regeln der medizinischen Kunst verletzt haben (d. h. die von der medizinischen Wissenschaft festgelegten, allgemein anerkannten und akzeptierten Grundsätze, die von Ärztinnen und Ärzten gemeinhin befolgt und angewendet werden).
  • Wenn sie ihre Aufklärungspflicht verletzt und nicht die ausdrückliche Einwilligung der zu behandelnden Person eingeholt haben (Urteilsfähigkeit, Bedenkfrist). Eine angemessene Aufklärung setzt voraus, dass die Ärztin oder der Arzt der betroffenen Person auf anschauliche und verständliche Art vollständige Informationen gegeben hat (Diagnose, Therapie, Prognose, Alternativen zur vorgeschlagenen Behandlung, Operationsrisiken, Heilungschancen, spontaner Krankheitsverlauf, finanzielle Fragen). Vorbehalten bleiben eine hypothetische Einwilligung, Spezialfälle, beispielsweise harmlose oder dringende Eingriffe, und das therapeutische Privileg, das darauf abzielt, Patientinnen und Patienten nicht unnötig zu belasten.

Welche Arten der Haftung gibt es?

Die Verletzung der Regeln der medizinischen Kunst oder der Aufklärungspflicht hat potenziell zur Folge, dass Ärztinnen und Ärzte den Schaden ersetzen sowie mit einer strafrechtlichen Verurteilung und einer Disziplinarstrafe rechnen müssen.

a) Zivilrechtliche Haftung

Unter zivilrechtlicher Haftung versteht man die Verpflichtung, einen Schaden durch die Zahlung von Schadenersatz und Genugtuung auszugleichen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus der Anwendung privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Vorschriften. Dies bedeutet aber nicht, dass der Ärztinnen und Ärzte persönlich und direkt für den verursachten Schaden und seelischen Unbill haften.

Im öffentlichen Recht haftet primär und – in der Regel – ausschliesslich der Staat. Er kann zwar Ärztinnen und Ärzte belangen (Rückgriffsklage), dies aber nur im Falle eines schwerwiegenden oder vorsätzlichen Verschuldens. Im Privatrecht hingegen haften Ärztinnen und Ärzte für sämtliche Fehler, einschliesslich der Fehler der ihnen unterstellten Personen, die in ihrem Auftrag gehandelt haben (Hilfspersonen). Ihre Haftung ist damit nicht auf schwerwiegendes oder vorsätzliches Verschulden beschränkt. Sie haften auch für leichtes Verschulden, beispielsweise fahrlässiges Verschulden.

Ist öffentliches oder privates Recht geltend?

Um zu bestimmen, ob öffentliches oder privates Recht anwendbar ist, muss die Art der Beziehung zwischen Patientin oder Patient, Spital und Ärztin oder Arzt untersucht werden.

Wenn der Eingriff in einem öffentlichen Spital stattgefunden und ein Arzt eine Patientin als Angestellter des Spitals behandelt hat (häufigster Fall), ist primär und ausschliesslich der Staat haftbar. Dasselbe gilt für die Chefärztin, die einen ihrer Privatpatienten im Spital behandelt, oder für den Belegarzt, der vom Spital gerufen wird, um Patientinnen und Patienten des Spitals zu behandeln. In all diesen Fällen können Patientinnen und Patienten nicht direkt Ärztinnen und Ärzte oder die Personen (Hilfspersonen), die in ihrem Auftrag gehandelt haben, verklagen. Wenn hingegen ein Belegarzt seine eigene Patientin innerhalb des Spitals behandelt (im Rahmen eines Infrastrukturnutzungsvertrages), haftet er persönlich – und dies auch für die Handlungen der Personen, die in seinem Auftrag gehandelt haben (Hilfspersonen). Die Patientin wird direkt den Arzt verklagen müssen.

Wenn der Eingriff in einer Privatklinik stattgefunden hat, wird die geschädigte Person die Privatklinik, die für die Handlungen der Ärztin oder des Arztes haftet, verklagen müssen. Wenn mit einer Ärztin ein spezifischer Behandlungsvertrag abgeschlossen wurde, kann ein Patient auch direkt diese verklagen.

Zusätzlich zur zivilrechtlichen Haftung haften Ärztinnen und Ärzte für ihre Handlungen – sei dies als Assistenz-, (stv.) Ober-, Chef- oder Belegärztin oder -arzt – auch persönlich in strafrechtlicher und disziplinarischer Hinsicht.

b) Strafrechtliche Verantwortung

Neben der finanziellen Verpflichtung, den Schaden auszugleichen, riskieren Ärztinnen und Ärzte – sei dies als Assistenz-, (stv.) Ober-, Chef- oder Belegärztin oder -arzt –, welche die Regeln der ärztlichen Kunst oder ihre Aufklärungspflicht verletzt haben, eine strafrechtliche Verurteilung aufgrund einer Straftat (beispielsweise wegen fahrlässiger Tötung, Art. 117 StGB) oder wegen fahrlässiger Körperverletzung (Art. 125 StGB).

c) Disziplinarische Sanktionen

In der Regel führt die Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst oder der Aufklärungspflicht zu einer verwaltungsrechtlichen Sanktion durch die Aufsichtsbehörde. Es können verschiedene Sanktionen ausgesprochen werden (Verwarnung, Rüge, Busse oder ein Verbot, selbstständig zu praktizieren).

Die Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst oder der Aufklärungspflicht kann auch zu einer Sanktionierung des angestellten Arztes durch den Arbeitgeber führen (Einfrieren des Lohnanstiegs, Verwarnung, Entlassung).