• Forschung und Praxis

Innovation in der Radiologie: wo Technologie auf Menschlichkeit trifft

Die Radiologie als Drehscheibe der modernen Medizin steht an einem Wendepunkt: Steigender Arbeitsdruck, wachsende Spezialisierung und der rasante technologische Fortschritt fordern ein Umdenken. Wie kann sich die Radiologie neu positionieren?

Dank eines «Virtual Cockpits» können Radiologiefachpersonen mehrere Magnetresonanztomographen oder Computertomographen parallel aus der Distanz steuern. Bild: KSB
Dank eines «Virtual Cockpits» können Radiologiefachpersonen mehrere Magnetresonanztomographen oder Computertomographen parallel aus der Distanz steuern. Bild: KSB

In der modernen Medizin spielt die Radiologie eine zentrale Rolle. Als unverzichtbarer Bestandteil der Diagnostik agiert sie als Drehscheibe in Spitälern und prägt den gesamten Patientenpfad. Dies stellt sie vor erhebliche Herausforderungen: Hohe Arbeitsvolumen, zunehmender Technologiedruck und die Gefahr der Patientenferne sind nur einige der zentralen Themen. Besonders in den USA zeigt sich eine alarmierende Entwicklung: Radiologinnen und Radiologen berichten von steigenden Burnout-Raten, ausgelöst durch Volumendruck und eine unzureichende Work-Life-Balance [1].
Doch wie kann sich die Radiologie neu positionieren, um diesen Herausforderungen zu begegnen? Die Antwort liegt in Innovationen, die sowohl den technologischen Fortschritt als auch die Patientenorientierung ins Zentrum stellen.

Radiologie im Wandel: vom Volumendruck zur Wertorientierung

Traditionelle radiologische Abteilungen, die oft gerätespezifisch organisiert sind, weichen zunehmend organzentrierten Strukturen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Spektrum der Weiterbildungstitel und Subspezialisierungen wider. Beispiele sind Schwerpunktbezeichnungen wie die pädiatrische Radiologie des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF) oder Diplome internationaler Fachgesellschaften wie das European Board of Interventional Radiology (EBIR). Die Tendenz zur Spezialisierung ermöglicht eine hochqualifizierte Diagnostik und Therapie, die innerhalb interdisziplinärer Teams implementiert werden können. Solche Ansätze steigern nicht nur die Effizienz im Behandlungsprozess, sondern verbessern auch die Patientensicherheit und das Behandlungsergebnis. Sie sind ein wichtiger Schritt in Richtung Value-based Healthcare [2].

Digitalisierung und künstliche Intelligenz: die nächste Stufe der Effizienz

Die digitale Transformation treibt die Radiologie der Zukunft voran. Das Kantonsspital Baden (KSB) beispielsweise hat das Projekt «Radiology of the Future» mit seinem Industriepartner Siemens Healthineers ins Leben gerufen, das innovative Technologien wie das «Virtual Cockpit» einsetzt. Dieses Projekt wurde 2023 vom Fachverband SwissICT als Leuchtturmprojekt mit dem «Digital Excellence Award» ausgezeichnet [3]. Radiologiefachpersonen können im «Virtual Cockpit» mehrere Magnetresonanztomographen oder Computertomographen parallel aus der Distanz steuern, also sogenanntes Remote Scanning betreiben. Das Konzept, ursprünglich als Antwort auf den Fachkräftemangel entwickelt, eröffnet zahlreiche Vorteile. Es bietet Mitarbeitenden Flexibilität, gerade auch ausserhalb der regulären Arbeitszeiten bei Nacht- oder Wochenenddiensten, reduziert Kosten, sichert gleichzeitig die hohe Qualität der Untersuchungen und ermöglicht Schulungen des Personals sowie unkomplizierten Onsite-Support.

Künstliche Intelligenz (KI) ist ein weiterer Schlüssel zu Effizienzsteigerung und Patientensicherheit. Von der Bildakquisition bis zur präzisen Diagnose: KI unterstützt zunehmend bei der Erhebung und Interpretation grosser Datenmengen, minimiert Fehler und entlastet das ärztliche Team. In der Radiologie finden KI-gestützte Lösungen bereits heute breiten Einsatz: Etablierte Beispiele am KSB umfassen die automatisierte Erkennung von Pneumothoraces im Röntgenbild, die Bestimmung des Knochenalters in der Projektionsradiographie oder die computergestützte Erkennung einer Hirnblutung in der Computertomographie. In der Brustkrebsdiagnostik, wo die Aufnahmen der Patientinnen traditionell von zwei Ärztinnen oder Ärzten begutachtet werden, werden derzeit Systeme erprobt, die die zweite Befundung durch KI ersetzen. Ursprünglich als Massnahme gegen den Fachkräftemangel gedacht, soll dieser Ansatz nicht nur Kosten senken, sondern auch die diagnostische Sicherheit weiter verbessern [4].

Neue Versorgungsmodelle und Kooperationen

Wie die Transformation gelingen kann, zeigt das KSB, das dafür auf das sogenannte Hub-and-Spoke-Modell setzt. Das Hauptspital, der «Hub» (Nabe im Sinne eines zentralen Knotenpunkts), stellt hochspezialisierte Diagnostik und Interventionen bereit, während regionale «Spokes» (Speichen) – oft in Kooperation mit anderen Gesundheitsanbietern wie ASANA Leuggern oder dem Medizinischen Zentrum Brugg – Patientinnen und Patienten wohnortnah versorgen [5]. Dieses Modell fördert nicht nur die Zugänglichkeit, sondern ermöglicht durch die zentral organisierte Terminvergabe eine gesteigerte Effizienz und eine zuverlässige regionale Patientenversorgung. Zudem erlauben Teleradiologie und Remote Scanning mittels «Virtual Cockpit», auch an kleinen, peripheren Standorten die gesamte Expertise des Netzwerks anzubieten.

Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt: mehr als nur Diagnostik

Neben technologischen Fortschritten steht das positive Patientenerlebnis im Fokus. Am KSB wurde deshalb der vor Kurzem bezogene Neubau «Agnes» nach dem Prinzip der «Healing Architecture» gestaltet. Ziel ist es, eine Umgebung zu schaffen, die Ängste abbaut und den Genesungsprozess unterstützt. Separate Warteräume sorgen für Privatsphäre, beruhigende Farben und patientenzentrierte Kommunikationsstrategien tragen zu einem angenehmen Umfeld bei. Durch diese Massnahmen wird nicht nur die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten gesteigert, sondern auch die Compliance erheblich verbessert, da ein angenehmes Umfeld und eine gute Information die Bereitschaft zur Mitarbeit fördern [6].

Ein positiver Nebeneffekt der Bemühungen, die Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen, ist die gesteigerte Mitarbeitendenzufriedenheit. In einer Zeit des Fachkräftemangels ist es entscheidend, ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen, das nicht nur modern und effizient, sondern auch menschlich ist. «Happy patient, happy staff»: Eine angenehme Arbeitsatmosphäre fördert die Motivation des Teams, reduziert Stress und trägt dazu bei, hochqualifiziertes Personal langfristig zu binden. Dies kommt letztlich sowohl den Patientinnen und Patienten als auch der gesamten Organisation zugute.

Die Rolle der Radiologie in einer nachhaltigen Gesundheitsversorgung

In einer älter werdenden Gesellschaft wird die Nachfrage nach radiologischen Leistungen weiter steigen, während Gesundheitseinrichtungen zunehmend unter Druck stehen, einerseits effizienter zu werden und andererseits ihre ökologischen Fussabdrücke zu minimieren. Effiziente Arbeitsmodelle, datenbasierte Steuerung und verantwortungsvoller Ressourceneinsatz sind daher zentrale Aspekte der Radiologie von morgen [7]. Am KSB wird daher grosser Wert auf Nachhaltigkeit gelegt. Hochmoderne Geräte tragen zur Reduzierung des Energieverbrauchs bei, und digitale Lösungen minimieren unnötige Transportwege. Gemeinsam mit Technologiepartnern aus der Industrie legt das KSB zudem einen Fokus auf die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. Die Wiederaufbereitung und die Wiederverwendung von Komponenten in radiologischen Geräten sind vielversprechende Ansätze, die allerdings noch in den Kinderschuhen stecken. Diese Massnahmen tragen nicht nur zur Kostenreduktion bei, sondern schonen auch wertvolle Ressourcen.

Fazit: technische Exzellenz und menschliche Zuwendung

Die Zukunft der Radiologie liegt in einer klaren Ausrichtung als serviceorientierte Disziplin, die technische Exzellenz und menschliche Zuwendung in den Vordergrund stellt. Diese Fokussierung stärkt nicht nur das Vertrauen der Patientinnen und Patienten, sondern verbessert auch die Zusammenarbeit mit Zuweisern und anderen medizinischen Abteilungen. Das Beispiel des KSB zeigt, wie innovative neue Versorgungsmodelle eine radiologische Abteilung als integralen Bestandteil des Gesundheitsnetzwerks etablieren können – zum Wohle von Patientinnen, Patienten, Zuweisern und Mitarbeitenden.

Literatur

  1. Canon CL, Chick JFB, DeQuesada I, Gunderman RB, Hoven N, Prosper AE. Physician Burnout in Radiology: Perspectives From the Field. AJR Am J Roentgenol. 2022 Feb;218(2):370–374. doi: 10.2214/AJR.21.26756. Epub 2021 Sep 8. PMID: 34494444.
  2. Brady AP, Bello JA, Derchi LE, Fuchsjäger M, Goergen S, Krestin GP, Lee EJ, Levin DC, Pressacco J, Rao VM, Slavotinek J, Visser JJ, Walker RE, Brink JA. Radiology in the era of value-based healthcare: A multi-society expert statement from the ACR, CAR, ESR, IS3R, RANZCR and RSNA. J Med Imaging Radiat Oncol. 2021 Feb;65(1):60–66. doi: 10.1111/1754-9485.13125. PMID: 33345440.
  3. swissICT (2023): Digital Economy Award: Know-how trifft Motivation. https://www.swissict.ch/digital-economy-award-know-how-trifft-motivation (13.2.2025).
  4. Suri A. AI as a Second Reader Can Reduce Radiologists’ Workload and Increase Accuracy in Screening Mammography. Radiol Artif Intell. 2024 Nov;6(6):e240624. doi: 10.1148/ryai.240624. PMID: 39441106; PMCID: PMC11605140.
  5. Siemens Healthineers AG (2024): Radiology of the future – Overview. Defining trends in radiology and practical examples of implementation. https://marketing.webassets.siemens-healthineers.com/2114bce3e3591752/d88440153659/siemens-healthineers_ES_case_study_Radiology_of_the_future-Issue_01.pdf (13.2.2025).
  6. Siemens Healthineers AG (2024): Radiology of the future. Patient experience project at Kantonsspital Baden City. https://marketing.webassets.siemens-healthineers.com/609a78fc7ff05d05/3cfacd1dea31/siemens-healthineers_ES_case_study_Radiology_of_the_future-Issue_02.pdf (13.2.2025).
  7. Palm V, Heye T, Molwitz I, von Stackelberg O, Kauczor HU, Schreyer AG. Sustainability and Climate Protection in Radiology - An Overview. Rofo. 2023 Nov;195(11):981–988. English, German. doi: 10.1055/a-2093-4177. Epub 2023 Jun 22. PMID: 37348529.