• Fokus: Innenleben

Praxisräume neu gedacht

Der Aufbau und die Inneneinrichtung einer Arztpraxis beeinflussen die Arbeitsweise im Praxisalltag. Was Lean Management konkret bedeutet und wie sein Team diese Prinzipien in einer Gruppenpraxis umgesetzt hat, beschreibt unser Autor.

Hereinspaziert! Wird eine Praxis nach Lean Prinzipien eingerichtet, kann dies zu einem effizienteren Arbeitsablauf beitragen. 
Hereinspaziert! Wird eine Praxis nach Lean Prinzipien eingerichtet, kann dies zu einem effizienteren Arbeitsablauf beitragen. 

Arztpraxen in der Schweiz waren und sind mehrheitlich in umgebauten Miet- oder Eigentumswohnungen von Mehrfamilienhäusern, in Räumlichkeiten des ärztlichen Wohnhauses oder in Wohnhäusern mit Gewerberäumen im Erdgeschoss vorzufinden. In städtischen Gebieten sind Praxen auch vermehrt in reinen Gewerbe- oder Bürogebäuden angesiedelt [1, 2, 3]. Der Grundriss solcher Bauten gibt punkto Raumkonzeption und Innenarchitektur ein bisweilen enges Korsett vor. Bedürfnisse der neuen Ärztegeneration, gesundheitspolitische Veränderungen, Fortschritte in Medizin und Technik und gesetzliche Auflagen verändern die Art und Weise, wie neue Arztpraxen gedacht und gebaut werden. In den letzten Jahren formierte sich eine Vielzahl von Gemeinschafts- oder Gruppenpraxen. Diese neuen Betriebsformen führen notwendigerweise dazu, dass auch bauliche und prozessuale Aspekte neu gedacht werden müssen. Praxisräume erhalten neue Zweckbestimmungen, Arbeitsabläufe unterliegen einer dem Zeitgeist entsprechenden Dynamik. Es werden neue Anforderungen an die Informationstechnologie (IT), Gebäudetechnik- und Automatisation, Beleuchtung, Akustik, Hygiene und Entsorgung gestellt [4].

Internationale Entwicklungen: Superhospitals und Pods

Die rasanten Fortschritte der Medizin, das Bewusstsein für eine patientenzentrierte Abklärung und Behandlung von Krankheiten, ökonomische und weitere Aspekte bewirkten in den vergangenen 35 Jahren in Nordeuropa und in den USA einen Umbau der Gesundheitssysteme und eine insgesamt besser vernetzte Gesundheitsversorgung [5, 6]. Bei unseren nördlichen Nachbarn wie Dänemark führte dies zum Bau von Superhospitals im Rahmen einer landesweiten Gesundheitsreform ab 2007 [5, 7]. Diese Superhospitals sind hochmoderne, gross angelegte Krankenhäuser, deren Konzept auf der Idee basiert, spezialisierte medizinische Dienstleistungen und verschiedene Behandlungsangebote zentral an einem Standort zu bündeln, um die Effizienz, die Qualität der Versorgung und die verbesserte Zugänglichkeit zu umfassender medizinischer Betreuung zu gewährleisten. Superhospitals sind meist technologisch sehr fortschrittlich ausgestattet, was die Digitalisierung und die Automatisation von Prozessen ermöglicht. Als weiteres Beispiel für diese Transformation im Gesundheitswesen wird gern die Everett Klinik (neu Optum Care Washington) in Seattle (USA) und insbesondere das 2012 eröffnete Smokey Point Medical Center aufgeführt. Die Architektur dieser Walk-in-Klinik orientiert sich an Lean-Prinzipien (wird weiter unten erläutert) und wendet in Bezug auf bauliche und prozessuale Aspekte die «Pod-Typologie» an. Die räumliche und funktionale Aufteilung in verschiedene Einheiten (Pods) hat die Absicht, die Effizienz und die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern. Jede Pod agiert als eine eigenständige Behandlungseinheit, die in der Regel über spezifische Arbeitsbereiche und Personal verfügt und für eine bestimmte Art von Patientinnen und Patienten oder Behandlungen zuständig ist (Abbildung 1).

Transformation im schweizerischen Gesundheitswesen

Auch das schweizerische Gesundheitssystem und damit die schweizerische Spitallandschaft wurden von dieser in Nordeuropa und in den USA angestossenen Transformation erfasst. Die in alten Schweizer Spitälern oft ungünstige Aufteilung der Funktionsbereiche und Kliniken bedeutet lange Wege sowie ineffiziente Abläufe und einen Qualitätsverlust für die medizinische Behandlung [5]. Aus medizinischen, patientenorientierten und ökonomischen Gründen kommt es daher auch in der Schweiz zu diversen Neubauprojekten, zu Spitalfusionen und Schliessungen kleinerer Spitäler [5, 9].

Lean-Prinzipien: ein Ansatz aus der Industrie

Lean Management (schlankes Management) ist ein systematischer Ansatz, der ursprünglich in der Fertigungsindustrie entstand und erfolgreich im Gesundheitswesen angewendet wird. Die methodische Anwendung von Lean-Prinzipien soll zur möglichst effizienten Abklärung und bestmöglichen Behandlung von Patientinnen und Patienten in Bezug auf ihre Krankheiten beitragen und dabei Verschwendung in Arbeitsabläufen minimieren sowie Arbeitsprozesse im Alltag optimieren. Mit der Einführung von Lean-Prinzipien in Schweizer Spitälern [10, 11] sowie Bemühungen zur kontinuierlichen Umsetzung derselben [12, 13, 14], wurde es auch bei Neubauten von Spitälern in der Schweiz ein prioritäres Ziel, eine Infrastruktur zu schaffen, welche die Arbeitsabläufe der Mitarbeitenden und alle weiteren Flüsse der Medizin optimal auf die Patientinnen und Patienten ausrichtet. In Ambulatorien werden die Patientenwege und die Arbeitsbereiche des medizinischen Personals getrennt, um unterschiedliche Tätigkeiten nicht miteinander zu vermischen sowie unnötige Wartezeiten und Bewegungen für Patientinnen, Patienten und Personal zu minimieren [9, 15].

Dienstleistungen zur Person bringen

Die Transformation des Gesundheitswesens in der Schweiz hat auch Einfluss auf Hausarztpraxen [16], wobei auch hier Lean-Prinzipien eine geeignete Methode zur kontinuierlichen Reflexion des Arbeitsalltags und zur professionellen Weiterentwicklung sind [17, 18]. Bei Neubauten sollte in Anlehnung an die Lean-Prinzipien darauf geachtet werden, dass die Patientin bzw. der Patient nach Eintreffen am Empfang direkt ins zugeteilte Behandlungszimmer gelangt. Nach dem ärztlichen Gespräch sowie allen Handlungen an der Person (körperliche Untersuchung, Blutentnahme, bildgebende und weitere Untersuchungen, Abgabe von Medikamenten, Verordnungen und Terminkarten) verlässt die Patientin bzw. der Patient das Behandlungszimmer und begibt sich zum Ausgang [16]. Die Dienstleistungen werden bei dieser Vorgehensweise möglichst umfänglich zur Person gebracht. Um diese patientenzentrierte Ausrichtung zu erreichen, werden bei der Planung und der Realisierung von neuen Hausarztpraxen optimalerweise Architektur, Informationstechnologie (IT) und Medizin früh in den Planungsprozess einbezogen.

Das Modell «on stage – off stage», das eine klare Trennung vom Patientenbereich (on stage) und dem alleinigen Arbeitsbereich für Ärztinnen, Ärzte und medizinisches Fachpersonal (off stage) voraussetzt (Abbildung 2), erleichtert die Anwendung der Lean-Prinzipien. Der für das Personal gemeinsame «Off stage»-Bereich führt zu einem hindernislosen direkten Austausch sowohl der Ärztinnen und Ärzte untereinander als auch mit dem gesamten Team. Die Schwelle, eine Zweitmeinung einzuholen, ist entsprechend niedrig.

Innenarchitektur und heilsames Bauen

Neben Bau- und Betriebskonzept einer Praxis ist auch deren Innenleben wichtig. Innenarchitektur soll die Menschen stimulieren und ein ganzheitliches Erleben der Räumlichkeiten ermöglichen. Die heilsamen Effekte von bestimmten innenarchitektonischen Massnahmen auf Patientinnen und Patienten werden seit mehr als 35 Jahren wissenschaftlich untersucht. Zu einem ausgefeilten Grundriss mit entsprechender Raumkomposition gehören ein gut abgestimmtes Farb- und Materialkonzept, ein professionelles Lichtkonzept, kontrollierbare Luftqualität und das Einbringen von wohltuenden Düften, eine Regulierung von Klangkulisse und Akustik, eine leichte Orientierung und gute Wegfindung, Sicht in die Natur und räumliche Nähe zur Natur [19–23]. Farben in Innenräumen beeinflussen das Verhalten, das körperliche und psychische Wohlbefinden und damit auch die Gesundheit eines Menschen.

Ein konkretes Beispiel: die neue Gruppenpraxis in Ruswil

Die im Jahr 2013 gegründete Gruppenpraxis «Unimedica» in Ruswil (LU), in der ich arbeite, musste wegen Platzmangels einen neuen Standort suchen und hatte die Gelegenheit, in einer ehemaligen Coop-Filiale neue Praxisräumlichkeiten zu realisieren. Bereits bei der Entwicklung des Grundrisses wurden die Wege von Patientinnen bzw. Patienten und Personal konsequent getrennt, um im zukünftigen Praxisalltag das Modell «on stage – off stage» praktizieren zu können. In Anlehnung an die «Pod»-Typologie wurden die Behandlungszimmer rund um eine Kernzone angeordnet (Abbildung 3).

In den zukünftigen Praxisräumlichkeiten wurde mittels Kartonwänden das geplante Innenleben der Praxis aufgebaut (Abbildung 4). Danach testeten wir Arbeitsabläufe, analysierten Raumdimensionen und die Anordnung der Infrastruktur und passten die Grundrisspläne nach Bedürfnissen und Möglichkeiten an.

In dieser Phase wurden auch innenarchitektonische und gestalterische Aspekte des heilsamen Bauens in den Planungsprozess aufgenommen (Abbildungen 5–8). Die mit der Planung und Ausführung betraute Architektin Karin Portmann, dipl. Architektin ETH SIA, behielt dabei ästhetische, prozessuale und betriebswirtschaftliche Aspekte im Auge.

Abbildung 5: Das «Moodboard» der Architektin vereint Farb- und Materialkonzept und ermöglicht dem Bauherrn eine Vorstellung vom Zusammenwirken der Materialien und Farben. Bild: [24]

Eine stetige Weiterentwicklung

In den drei Jahren der Planung und Ausführung haben wir unseren Praxisalltag nach Lean-Prinzipien weiterentwickelt, Anregungen vorgenannter Autoren aufgenommen und in den Praxisalltag einfliessen lassen. Die Vernetzung der zentralschweizerischen Arztpraxen mit dem Klinikinformationssystem (KIS) wurde bereits seitens des Luzerner Kantonsspitals (LUKS) verbessert, und unsere Kommunikation mit dem lokalen Ärztenetzwerk, Krankenkassen und Versicherungen ist weitestgehend papierlos. Die Kommunikation (Auftragserteilung) zwischen Ärzteschaft und medizinischen Praxisassistentinnen und -assistenten erfolgt elektronisch vom Desktop an eine Smart Watch. Zur ausführlichen Sonographie werden mobile Geräte verwendet, die bei Bedarf ins Behandlungszimmer gebracht werden. Zur fokussierten Sonographie (POCUS) verwenden wir ein auf Bluetooth basiertes Ultraschallgerät mit Doppelsondentechnologie (Konvex- und Linear-Sonde). Die sonographische Frakturdiagnostik und die Lungensonographie ergänzen oder ersetzen zunehmend die Röntgendiagnostik in unserem Praxisalltag, Patientinnen und Patienten müssen weniger oft in unseren Röntgenraum verwiesen werden.
Dank des gelungenen Projektes arbeiten wir – bei grösserem Patientenaufkommen – effizienter und patientenzentrierter. Gleichzeitig sind mehr Ruhe und Atmosphäre in den Praxisalltag eingekehrt – sowohl für unsere Patientinnen und Patienten als auch für unser Praxisteam.

Literatur

  1. Praxis Gruppe Schweiz: Standorte. www.praxis-gruppe.ch/so-arbeiten-sie-bei-uns/standorte (11.3.2025).
  2. Amt für Raumentwicklung des Kantons Zürich: Gebäudedefinition und -kategorien, 2021. www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/planen-bauen/baubewilligung/infos-fuer-baubehoerden-fachstellen/gwr/gwr_merkblaetter_zh/gwr_merkblatt_zh_gebaeudedefinition_gebaeudekategorie.pdf (11.3.2025).
  3. Ärztezentren Deutschschweiz AG: Standorte. www.aerztezentren.ch/ch/standorte (11.3.2025)
  4. Philipp Meuser. Handbuch und Planungshilfe Arztpraxen; 2016 by DOM publishers, Berlin 2. vollständige, erweiterte und aktualisierte Auflage.
  5. Sylvia Blezinger. Vernetzte Gesundheitsversorgung. Schweizerische Bauzeitung TEC21 7/2020: S. 22–24.
  6. Robert Hormes, Thomas Kessler, Stefan Rüttimann. Digital vor ambulant vor stationär. Schweizerische Bauzeitung TEC21 7/2020: S. 28–30.
  7. The Danish Super Hospital Programme, a Transformation of the Danish Health Care Landscape, Ministry of Health, Holbergsgade 6, DK 1057 Kobenhavn K, Denmark.
  8. Architect Magazine: Everett Clinic Smokey Point Medical Center. www.architectmagazine.com/project-gallery/everett-clinic-smokey-point-medical-center, modifiziert durch den Autor (11.3.2025).
  9. Medinside Admin «Form follows Function» im Spitalneubau. Verständigungsprozesse ermöglichen Innovation in der Konzeption von Spitalneubauten. 19.11.2021. www.medinside.ch/post/form-follows-function-im-spitalneubau  (11.3.2025)
  10. Anna Sax. Round-Table-Gespräch zum Thema «Lean Hospital»: «Wo die Standardisierung aufhört, fängt das Denken an». Schweizerische Ärztezeitung 2017;98(6):191–194.
  11. Dominik Moser, Alfred Angerer. Eine anwendungsorientierte Ergänzung des Lean-Ansatzes mittels der Engpass-Theorie: Fokussierte Prozessoptimierung im Spital. Schweizerische Ärztezeitung 2017;98(9):287–289.
  12. Mareike Ahlers, Katharina Rüther, Avital Ratnitsky, Benjamin Biesinger. Erfolgsfaktoren für ein patienten- zentriertes Spitalmanagement. Schweizerische Ärztezeitung 2024;105(16):40–42.
  13. Heiko Behrend, Sarah Niederberger, Gioia Braun, Katharina Rüther-Wolf. Ist die Wirkung von Lean Hospital auf der Bettenstation messbar? Schweizerische Ärztezeitung 2018;99(37):1238–1241.
  14. Andreas Gutzeit, Martin Nufer, Christine Huber, Sandra Kaiser, Ilona Funke, Dominik Utiger in Zusammenarbeit mit Franziska Schläpfer. Lean und Kaizen-Management im Spital: ein Wundermittel? Schweizerische Ärztezeitung 2018;99(25):843–844.
  15. Newsroom www.luks.ch. Neueröffnung des HNO-Ambulatoriums, 26. November 2023.
  16. Michael F. Bagattini. Lean Management – auch in der Arztpraxis von Vorteil! Schweizerische Ärztezeitung 2017;98(10):322–323.
  17. Eva Hollenstein, Jeannine Marquard, Markus Steiner, Alfred Angerer. Potenziale von Lean Management in der Hausarztmedizin. Schweizerische Ärztezeitung 2020;101(27–28):865–867.
  18. Alfred Angerer, Eva Hollenstein. Der Lean-Ansatz in der Arztpraxis. Hausarzt Praxis 2019; Vol. 14, Nr. 4.
  19. Ute Ziegler. Bauen für Körper und Seele. VSAO/ASMAC Journal 5/20, S. 31–33.
  20. Wolf Langewitz. Die Atmosphäre macht den Unterschied. Schweizerische Ärztezeitung 2022;103(45):72–73.
  21. Katarina Brichetti, Franz Mechnser. Heilsame Architektur, transkript Verlag 2019.
  22. Sylvia Leydecker. Das Patientenzimmer der Zukunft, Birkhäuser Verlag 2017.
  23. Meriel Meiling. Healing Architecture – ein Megatrend. Walkerprojekt Spitalplanung. Stand 20. Mai 2021.
  24. Karin Portmann dipl. Architektin ETH SIA, karinportmann.ch.
  25. LG LIGHTGUIDE AG, Steinhausstrasse 4, CH-6056 Kägiswil, Switzerland, lightguide.ch.
  26. Rahel Winiger, rahelwiniger.ch.
  27. Tim Kurz, kurzkuenzler.ch.
  28. Unimedica Praxis AG, www.unimedica.ch.