• Fokus: Innenleben

Schema-Arbeit – oder hinter die Verhaltensweisen blicken

Unsere Kindheit prägt uns bis ins Erwachsenenalter – und nicht immer auf positive Weise. Die Schematherapie hilft, unbewusste Verhaltensmuster aufzudecken und gezielt zu verändern.

Um unbewusste Verhaltensweisen herauszuschälen, braucht es den Blick in die Vergangenheit. Denn viele Verhaltensmuster lassen sich auf Erfahrungen aus der Kindheit zurückführen. Bild: Adobe Stock / Rudzhan
Um unbewusste Verhaltensweisen herauszuschälen, braucht es den Blick in die Vergangenheit. Denn viele Verhaltensmuster lassen sich auf Erfahrungen aus der Kindheit zurückführen. Bild: Adobe Stock / Rudzhan

Patientinnen und Patienten kommen meist mit dem Wunsch in die Therapie, dass sie etwas an ihrem Verhalten ändern möchten. Sie möchten selbstbewusster agieren, weniger trinken oder sich klarer abgrenzen können. Allzu schnell ist man versucht, mit irgendwelchen verhaltenstherapeutischen Strategien eine schnelle Verbesserung erzielen zu wollen, und vergisst dabei, dass man zuerst verstehen muss, was hinter dem Verhalten steckt.

Verhaltensmuster erkennen und verändern

Dort setzt die Schematherapie an. In den letzten 20 Jahren hat sie sich zu einem festen Bestandteil in der Psychotherapie-Landschaft entwickelt und wird mittlerweile in den verschiedensten Settings angewendet. Dabei geht es darum, sich die ungünstigen Erlebens- und Verhaltensmuster, die im Lauf der Lebensgeschichte entstanden sind, bewusst zu machen und so zu verändern, dass Betroffene ihre Gefühle und ihr Verhalten besser regulieren und ihre Bedürfnisse auf eine günstigere Weise befriedigen können.

In der Schematherapie wird also hinter das Verhalten geschaut. Es werden verdeckte und unbewusste Glaubenssätze und emotionale Anteile herausgeschält. Erst, wenn wir verstehen, welche maladaptiven Glaubenssätze, sogenannte «autoritäre Stimmen» (z. B. «Nur wenn ich leiste, bin ich liebenswert!», «Wenn ich Pause mache, werde ich dafür bestraft!») und welche Emotionen und Grundbedürfnisse aktiviert sind, können wir unser Verhalten (Coping) wirklich verstehen und langfristig verändern. Der Modus, in dem wir hilfreiche und gesunde Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen zeigen, wird das «Erwachsenen-Ich» genannt und hat die Rolle ähnlich der Regie. Dieser Modus soll in der Therapie bewusst gestärkt werden. Je höher die Bewusstheit der psychologischen Abläufe ist, umso einfacher wird es, auch gezielt darauf Einfluss zu nehmen.

Symptombekämpfung löst keine Muster

Nehmen wir eine Patientin mit einem Burn-out. Schnell wird klar, dass es ihr schwerfällt, ihre Grenzen zu setzen, Nein zu sagen oder ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Sie sagt Ja, auch wenn sie erschöpft ist, arbeitet länger, weil sie befürchtet, sonst ihren Job zu verlieren, und spürt irgendwann gar nicht mehr, wann ihr Körper ihr signalisiert, dass sie Pause machen muss. Nun empfiehlt man ihr einen Kurs in sozialer Kompetenz, in dem sie übt, laut «Nein» zu sagen, und schreibt sie zwei Wochen krank. Vielleicht helfen diese Interventionen sogar ein wenig, denn Nein sagen schadet sicher nicht, und Abstand von der Arbeit gibt Entlastung. Das Muster aber, welches das aufopfernde Verhalten immer wieder auslöst, ist damit nicht verschwunden.

Glaubenssätze aus der Vergangenheit

Dafür muss man in die Vergangenheit blicken. In der Schematherapie geht man davon aus, dass unsere Glaubenssätze – also die Bewertungen über die Welt, andere Menschen und uns selbst – zu einem Grossteil etwa in den zehn ersten Lebensjahren erlernt werden. Ein Kind beobachtet seine Hauptbezugspersonen, lernt am Modell und übernimmt die Beziehungsmuster, die es dort sieht. Wenn es sich bedroht fühlt, versucht es, durch sein Verhalten wieder Sicherheit zu erlangen. Unsere Patientin hat als Kind erlebt, dass ihre emotional hochaktivierten und auch körperlich aggressiven Eltern schneller beschwichtigt waren und sie mehr lobten, wenn sie ein braves Mädchen war und tat, was man von ihr wollte. Sie realisierte, dass sie Konflikten und negativen Emotionen besser aus dem Weg gehen konnte, wenn sie sich anderen unterordnete. So lernte sie, sich nach den Bedürfnissen anderer zu richten, und spürte ihre eigenen immer schlechter. Konflikten wich sie aus und erfuhr so auch nie, dass sie durchaus in der Lage sein könnte, diese zu meistern – auch wenn sie unangenehme Gefühle auslösen. In ihrer Herkunftsfamilie war die Unterwerfung ein «hilfreiches» Verhalten, da sie sich dadurch sicher fühlte und der Gewalt entkam. Doch im späteren Leben hält es ein paar Tücken bereit.

Unbewusste Muster herausschälen

Diese früh erlernten Beziehungs- und Verhaltensmuster werden in spätere Beziehungen und auf die Arbeitswelt übertragen und die darunterliegenden Glaubenssätze bleiben wirksam, da sie unbewusst ablaufen. Unsere Patientin hat nie in Betracht gezogen, dass der Grund ihres Burn-outs sein könnte, dass sie gelernt hat, über Leistung Anerkennung zu bekommen, oder befürchtet, bestraft zu werden, wenn sie sich abgrenzt. Sie führt das Muster weiter, bis sie zusammenbricht.

In der Therapie werden diese Muster nun herausgeschält und hinterfragt. Die damit zusammenhängenden Emotionen werden besprochen und mit den psychologischen Grundbedürfnissen in Verbindung gebracht. Denn was früher vermeintliche Sicherheit bot, verhindert heute, dass sie mit sich selbst fürsorglich umgeht und sich selbstbewusst und gesund abgrenzen kann.

Ein Podcast erklärt fachlichen Hintergrund

Das Verändern solcher Glaubenssätze und damit verbundene kindliche Emotionen lassen sich nicht in ein paar wenigen Therapiestunden verändern. Das ist ein Prozess, der mindestens zwei bis drei Jahre braucht und oft mühsam ist. Deshalb macht es Sinn, dafür spezialisierte Fachpersonen und Fachliteratur hinzuzuziehen. Aus dieser Idee der Ergänzung zur Behandlung heraus entstand auch der Podcast «Beziehungskosmos». Die Zeit in den Sitzungen und Visiten ist zu kurz, um die psychologischen Hintergründe zu erklären. Die Patientinnen und Patienten können einzelne Folgen zu Hause hören und der darin behandelte fachliche Hintergrund kann in die Behandlung miteinbezogen und besprochen werden.

Es ist wichtig, dass wir als Fachpersonen darauf sensibilisiert sind, dass hinter einem Verhalten ganz verschiedene Glaubenssätze und Bewertungen stecken können. Wenn uns jemand ein beobachtetes Verhalten beschreibt, wissen wir noch nicht, welcher Glaubenssatz dahinter wirksam war und welcher «Kind-Anteil» damit geschützt wird. Das müssen wir erfragen. In der Schema-Arbeit werden nach und nach hilfreichere und langfristig gesunde Glaubenssätze etabliert. In der Arbeit mit dem «inneren Kind» werden die Erfahrungen aus der Kindheit analysiert und mit dem aktuellen Verhalten in Verbindung gebracht. Unsere Patientin versteht, dass sie ihrem Chef kein Nein entgegenbringen kann, weil bei ihr innerlich die gewaltsamen Situationen mit ihrem Vater aktiviert sind, denen sie nur entkam, wenn sie sich fügte. Mittels Imaginationen und des liebevollen Zuwendens zu diesen Anteilen baut sie nach und nach mehr Selbstwirksamkeit auf.

Das Modusmodell ist grundsätzlich auf alle Personen anwendbar, auch im nicht pathologischen oder präventiven Bereich. Heute spielt es auch in vielen Selbsterfahrungen eine grosse Rolle. Denn wir alle haben unbewusste Verhaltensmuster, und es lohnt sich, genauer hinzuschauen und sich zu fragen: «Was steckt eigentlich hinter meinem Verhalten?»

Ein Begleiter bei der Selbstreflexion

Der Podcast «Beziehungskosmos» von Felizitas Ambauen und Sabine Meyer vermittelt psychologische Hintergründe und regt eine wohlwollende Selbstreflexion an. In den unten aufgelisteten Folgen werden die oben besprochenen Modi erklärt und eingebettet.

  • Inneres Kind: 22, 45, 67
  • Autoritäre Stimmen: 47
  • Erwachsenen-Ich: 49
  • Schema-Arbeit: 72
  • Coping-Stile: 62,64, 65

Buch: «Beziehungskosmos – eine Anleitung zur Selbsterkenntnis», Felizitas Ambauen und Sabine Meyer, 2023, Arisverlag