- Fokus: Blickwinkel
«Viele Menschen sind nicht so weit von mir entfernt, wie ich gedacht habe»
Er ist mitten im Geschehen und doch stets etwas abseits: Der junge Fotograf Jonathan Labusch hat vor Kurzem ein Volontariat als Pressefotograf beendet. Im Gespräch erzählt er, warum diese Erfahrung seinen Blick auf die Welt verändert hat.
20.08.2024
Jonathan Labusch, Sie haben Ihr Hobby zum Beruf gemacht und ein Jahr lang als Pressefotograf gearbeitet. Inwiefern hat diese Erfahrung Ihre Perspektive beeinflusst?
Was das Visuelle betrifft, habe ich gelernt, die Umgebung durch ein binäres Ja-Nein-System zu betrachten: Stimmt das Licht? Der Hintergrund? Die Komposition? So kann ich unter Zeitdruck rasch die wichtigsten Kriterien durchgehen und komme relativ schnell zu guten Bildern. Zudem weiss ich dank der Fotografie auch bestimmte Lichtstimmungen mehr zu schätzen als früher. Spannender als die visuellen Veränderungen finde ich aber, wie sich meine Sichtweise auf die Welt entwickelt hat.
Könnten Sie dies ausführen?
Wenn man sich in den sozialen Medien bewegt, gewinnt man den Eindruck, dass die Menschen sehr unterschiedlich sind und viel Hass da ist. Dank der Arbeit als Pressefotograf bin ich mit vielen Personen in Kontakt gekommen, die ich sonst nie getroffen hätte: Ich war im Frauengefängnis, bei der Anlaufstelle für Drogenabhängige und an Versammlungen von Parteien, die ich selbst nie wählen würde. Und das hat mein Weltbild geöffnet. Denn die Welt ist nicht nur schwarz-weiss, und viele Menschen sind gar nicht so weit von mir entfernt, wie ich zunächst gedacht habe.
Im Gegensatz zu Journalistinnen und Journalisten ist es nicht Ihre primäre Aufgabe, Fragen zu stellen. Wie nahe kommen Sie an die Leute ran?
Das ist sehr unterschiedlich und hängt von verschiedenen Dingen ab. Falls es die Zeit erlaubt, bin ich beim Gespräch mit der Journalistin oder dem Journalisten dabei und mache die Bilder erst danach. So erfahre ich bereits einiges über die jeweilige Person und sie gewöhnt sich auch an mich. Insbesondere Menschen, die nicht oft im Rampenlicht stehen, sind anfänglich meist nervös, wenn ich die Kamera raushole. Während ich einige Probebilder schiesse und die technischen Einstellungen mache, verwickle ich sie in ein Gespräch und versuche, Vertrauen aufzubauen. Manchmal gibt ein Bild an der Wand oder ein anderes Detail einen Hinweis auf ein Hobby oder eine Leidenschaft von ihnen, dann habe ich einen Anknüpfungspunkt. Eigentlich bin ich ja ein sehr schüchterner Mensch, oder war es zumindest sehr lange. Aber dank der Fotografie habe auch ich selbst gelernt, aus mir herauszugehen. Denn je näher man an eine Person herankommt, desto besser wird das Bild.
Inwiefern spielen Sie beim Fotografieren mit verschiedenen Perspektiven?
Ich bin einer, der gern mal irgendwo hinaufklettert oder sich auf den Boden legt, um ein überraschendes Bild zu erhalten. Denn ich mag es, wenn ein Bild nicht so nahe wie möglich am Text ist, sondern eine eigene Geschichte erzählt. Aber für die Zeitung benötigen wir oft Porträts, und da bin ich bezüglich Perspektive etwas eingeschränkt. Am besten kommen die Leute zur Geltung, wenn die Kamera leicht zu ihnen heraufschaut. Da ich ziemlich gross bin, mache ich die meisten Bilder vom Bauch aus. Würde ich von weiter unten fotografieren, kämen insbesondere Nasenlöcher und allenfalls Doppelkinn zur Geltung, was nicht besonders vorteilhaft wäre. Und fotografiere ich von oben, mache ich sie kleiner. Wenn ich etwas Zeit habe, versuche ich deshalb eher durch überraschende Details oder besondere Kompositionen einen besonderen Blickwinkel zu erreichen.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Kürzlich musste ich den Direktor des Zoos Zürich fotografieren, von dem es doch schon einige Fotos gibt. Also habe ich ihn gefragt, ob er auf einen Elefanten sitzen könnte. Dies ging zwar nicht, aber ich habe gemerkt, dass er offen ist für solche Spielereien. Schliesslich hat er sich in ein leeres Gehege gestellt, und ich habe ihn durch die Glasscheibe hindurch abgelichtet – quasi so, als ob er eines der Zootiere wäre.
Transportieren Sie durch manche Bilder auch kritische Botschaften?
Eher nein. Ich versuche, den Menschen unvoreingenommen und auf Augenhöhe zu begegnen, und möchte ihre menschliche Seite aufzeigen – egal, wer sie sind.
Zur Person
Jonathan Labusch ist 1993 in Zürich geboren und dort aufgewachsen. Nach einer Lehre als Uhrmacher entdeckte er bei einem Aufenthalt in New York seine Leidenschaft für die Fotografie, wobei er sich anfänglich auf Street Photography konzentrierte. Erste Engagements hatte er als Fotograf bei Konzerten. Bei seiner Ausbildung am MAZ, dem Institut für Journalismus und Kommunikation in Luzern, lernte er auch Porträts zu schätzen – mittlerweile seine liebste Aufgabe. Im Frühjahr 2023 begann er ein einjähriges Volontariat als Pressefotograf beim Tages-Anzeiger in Zürich, nun möchte er sich selbstständig machen.